Alexander Marguier (Hg.), Der Selbstbetrug

„Nach den schlimmen Erfahrungen der früheren Jahre wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Asylrechte weit gefasst und im nationalen Recht verankert. Damit wurden die Menschenrechte zwar von einer abstrakten Idee zu einem einklagbaren Anspruch. Aber es blieb weiterhin ungeklärt, wie diese Ansprüche aufrechterhalten werden können, wenn der liberale Rechtsstaat nicht als Ziel aller gesellschaftlichen Entwicklung akzeptiert wird, und wie die Ansprüche erfüllt werden können, wenn sie massenhaft gestellt werden.“ (S. 18)

Der Sammelband „Der Selbstbetrug“ bietet zehn Beiträge zum Thema „Migrationspolitik“, in denen das Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet wird. Dabei wird die gegenwärtige Politik in Deutschland und der EU kritisch bewertet aber auch die Probleme des gegenwärtigen Asylsystems aufgezeigt.

Thomas Mayer setzt sich in seinem Beitrag mit dem Dilemma der Asylpolitik zwischen hehren Werten und realen Grenzen auseinander, wobei auch die Anfänge des Asylsystems rund um die beiden Weltkriege zur Sprache kommen. Volker Resing zeigt auf, wie sich die politischen Verhältnisse während der letzten zehn Jahre verändert haben und der gegenwärtigen Politik der Ampelkoalition in Deutschland entgegenspielen.

Ruud Koopmans, Experte für Migration, Integration und Transnationalisierung kritisiert in einem Interview das gegenwärtige Asylsystem als unmoralische, weil es vor allem jene unterstützt, die es schaffen illegal die Grenzen der EU zu überwinden. Ein System, das die Schwachen im Stich lässt und die Zahl der Toten im Mittelmeer steigert.

Daniel Stelter setzt sich mit der Fachkräftezuwanderung auseinander und plädiert für einen Kurswechsel in der deutschen Politik, der die Abwanderung stoppt, die eigenen Potenziale mobilisiert und sich auf eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften konzentriert. Boris Palmer, Oberbürgermeister von Thübingen, blickt auf die aktuelle Flüchtlingspolitik aus kommunaler Sicht und zeigt die Schwierigkeiten und Herausforderungen für die Städte und Gemeinden auf.

Welche bürokratischen Entwicklungen die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge zeigt Mathias Brodkorb in seinem Beitrag „Die Selbsterdrosselung des Staates“ auf und Ahmad Mansour setzt sich mit dem Thema Integration auseinander und was die wesentlichen Merkmale einer gelungenen Integration sein müssten. Ebenfalls mit dem Thema Integration beschäftigt sich Ilgin Seren Evisen und zeig am Beispiel der türkischen Einwanderung, die Fehler deutscher Migrationspolitik auf. In seinem Aufsatz „Überall Rassisten“ deckt Ben Krischke auf, wie die Diskussionskultur zur Flüchtlingskrise bis heute keine rationale Debatte über die Migrationskrise zulässt und ein Lagergedenken fördert.

Die Aufsatzsammlung „Der Selbstbetrug“ wirft einen weitgefächerten kritischen Blick auf die gegenwärtige Migrationspolitik in Deutschland und der EU und zeigt die zahlreichen Probleme und Schwachstellen auf, die zunehmend erkennbar werden. Dabei werden die unterschiedlichsten Problemfelder angesprochen wie das gegenwärtige Asylsystem, die Fachkräftezuwanderung, Probleme der Kommunen und Probleme der Integration.

Der überaus lesenswerte Sammelband bietet interessante und kritische Beiträge zum Thema Migration, in denen vor allem ein neuer politischer Ansatz mit mehr Bezug zur Realität gefördert wird.

Mathias Brodkorb / Ilgin Seren Evisen / Ben Krischke / Ahmad Mansour u.a., Der Selbstbetrug. Wenn Migrationspolitik die Realität ignoriert, hrsg. v. Alexander Marguier / Volker Resing
Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 2023, 128 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-451-39651-9

Weiterführende Links:
Herder Verlag: Mathias Brodkorb u.a., Der Selbstbetrug
Cicero: Magazin für politische Kultur

Andreas Markt-Huter, 24-10-2023