Ben Krischke / Mathias Brodkorb u.a., Die Wokeness-Illusion

alexander marguier, die wokeness-illussion„Denn kein geringerer als der wirkmächtige US-Politologe Francis Fukuyama ließ in seinem schon 2018 erschienenen Buch mit dem Titel »Identität« keinen Zweifel daran, dass der kulturelle Fokus der Identitätspolitik von ernsthaften Überlegungen darüber abgelenkt habe, »wie der dreißig Jahre währende Trend in den meisten liberalen Demokratien zu größerer sozioökonomischer Ungleichheit umgekehrt werden kann«.“ (S. 8)

Die Aufsatzsammlung „Die Wokeness-Illusion“ setzt sich mit den verschiedenen gesellschaftspolitischen Diskussionen der Gegenwart rund um die Themen struktureller Rassismus, Geschlechtersystem, Neoliberalismus, politisch korrekter Konsum, woke Sprache und Kultur, Identitätspolitik und kulturelle Aneignung auseinander.

In seiner Einleitung kritisiert Alexander Marguier wie der sogenannte „Wokeismus“ zunehmend die Gesellschaft spaltet und gefühlte Wahrheiten zum Maßstab für die Verfasstheit einer Gesellschaft erhebt.

Ralf Hansele geht in seinem Beitrag auf die Anfänge der Identitätspolitik zurück, die mit Michel Foucaults 1975 veröffentlichtem Buch „Überwachen und Strafe“ ihren Anfang nahm. Wie wir uns fühlen, was uns ausmacht und wer wir sind ist für Foucault nicht mehr durch unsere Biologie bestimmt, „sondern durch die Beschränkung bzw. Zurichtung des Denkens“. (S. 14) Daraus entwickeltes sich der naheliegende Umkehrschluss, dass wir durch Willensentscheidung selbst bestimmen, wer wir sind und was wir sind. Von außen kommende Festlegungen werden als Akt der Gewalt verstanden. Weiter verschärft wurde diese Vorstellung durch die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Judith Butler und den Anfängen der Queer-Theorie.

Der Auseinandersetzung mit der „Critical Race Theory“, die an den Universitäten zunehmende Verbreitung findet, widmet sich ein anderer Beitrag. Diese tritt in Opposition zum Denken der europäischen Aufklärung und betrachtet Rassismus als strukturell in den westlichen Gesellschaften festgelegt.

Ein anderer Beitrag setzt sich mit der Debatte über Trans- und Intersexualität und dem daraus resultierenden Kulturkampf um das Geschlecht auseinander bei dem die Frage im Mittelpunkt steht: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Sind die Geschlechter biologisch festgelegt oder sind sie sozial determiniert und lassen sich durch freien Willensentscheid selbst bestimmen?

Weitere Themen gehen dem Verhältnis zwischen woker Ideologie und Neoliberalismus nach, die sich gegenseitig stützen, sowie dem Umweltschutz als Marketing in Form des „Woke Washing“, aber auch der Diskussion um gerechte Sprache und den Einfluss auf die Literatur. Aufgezeigt wird ebenfalls wie Wokeness die Falschen unterstützt und privilegiert und dabei auf soziale Verhältnisse keine Rücksicht nimmt. Im letzten Beitrag wird der Debatte über „kulturelle Aneigung“ nachgegangen und das dahinterliegende Denken kritisch beleuchtet.

Kurz und prägnant werden kontroverse Themen rund um das Schlagwort „Wokenesse“ in verständlicher Sprache abgehandelt, wobei die Autoren klar Stellung beziehen. Dabei gelingt es gerade jene Leserinnen und Leser anzusprechen, die mit den Themen und den dahinterliegenden Theorien und politischen Zielen weniger vertraut sind.

Ein überaus lesenswertes und informatives Sachbuch zu gesellschaftlich strittigen Themen knapp und überzeugend zu vermitteln weiß.

Mathias Brodkorb / Ben Krischke u.a., Die Wokeness-Illusion. Wenn Political Correctness die Freiheit gefährdet, hg. v. Alexander Marguier / Ben Krischke
Freiburg im Breisgau: Herder Verlag 2023, 128 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-451-39556-7

 

Weiterführende Links:
Herder Verlag: Ben Krischke / Mathias Brodkorb u.a., Die Wokeness-Illusion
Cicero: Magazin für politische Kultur

 

Andreas Markt-Huter, 18-04-2023

Bibliographie

AutorIn

Mathias Brodkorb / Ben Krischke u.a.

Buchtitel

Die Wokeness-Illusion. Wenn Political Correctness die Freiheit gefährdet

Erscheinungsort

Freiburg im Breisgau

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Herder Verlag

Herausgeber

Alexander Marguier / Ben Krischke

Seitenzahl

128

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-451-39556-7

Kurzbiographie AutorIn

Alexander Marguier wurde in Horb am Neckar geboren und ist Chefredakteur des politischen Monatsmagazins Cicero. Der studierte Volkswirt war zuvor mehrere Jahre lang Ressortleiter bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Politikredakteur bei der Welt am Sonntag.

Ben Krischke wurde in Memmingen geboren und ist Journalist, Kolumnist und Autor. Er hat Journalistik an der Hochschule Macromedia studiert und beim Magazin Focus in München und Berlin sowie an der Burda-Journalistenschule in Offenburg volontiert. Seit Oktober 2021 ist er Redakteur bei Cicero mit den Schwerpunkten Gesellschaft, Politik und Medien.

Mathias Brodkorb wurde in Rostock geboren und ist ein deutscher Politiker der SPD und Journalist. Seit 2018 ist er Kolumnist des Monats-Magazin Cicero.