Peter Simon Altmann, Die Nächte von Bangkok

peter simon altmann, die nächte von bangkokDas sogenannte erotische Paradoxon zeigt sich in der Literatur, wenn der Schauplatz immer heißer und die Helden immer cooler werden.

Peter Simon Altmann wendet sich in seinen sieben Erzählungen diesem Paradoxon zu, in ausgeklügelten Erzählverfahren werden hitzige Schauplätze aufgesucht, um darin die Helden als kühl agierende Denker zu installieren. „Die Nächte von Bangkok“ erfüllen das spontane Versprechen, Geheimnisse der Eros-Stadt bei Nacht zu lüften. Zusätzlich entsteht für die Leser eine vollends philosophische Befriedigung, die wenig mit hormonellen Zuständen zu tun hat.

In der Mitte der sieben Erzählungen liegt die Titel gebende Geschichte „Die Nächte von Bangkok“. Dabei durchstreift ein Ich-Erzähler in fünf Nächten die Metropole des Nachtlebens, welches in der westlichen Vorstellungskraft gerne als Mythos purer Lust gehandelt wird. Der Erzähler freilich holt dieses Illusionsgebilde vom nächtlichen Himmel und unterlegt die Streifzüge mit der Schwerkraft des Beobachtens und Denkens. Der Held ist im Rahmen eines Forschungsprojektes in Thailand unterwegs und schätzt sich selbst recht sachkundig ein, was das Land betrifft.

Aber bin ich nicht in Thailand mehr ich selbst als zu Hause, in Europa? (42)

Das nächtliche Bangkok wird beinahe wissenschaftlich in fünf Expeditionen erforscht. Als Zentren angesteuert werden Biergarten, Schrein, Karaoke, Arabisches Großhotel und Insider-Absteige. In allen Situationen kommt es zu flüchtig-innigen Begegnungen mit Frauen der Nacht, diese laufen eher zufällig ins Bild, und für den Helden zählt vor allem die Neugierde auf das Leben, weshalb er sich mit ihnen einlässt. – Er ist bemüht, gefühlsecht aufzutreten, was steckt hinter den Empfindungen? Sind es oberflächlich transportierte Touristenempfehlungen, moralische Kindheitsgeschichten oder soziologische Studien, die zu den wundersam erotischen Begegnungen führen? Und natürlich ist ab und zu Sex am Empfindungsgelände, aber dieser geht diskret vonstatten, wie an der Tankstelle Treibstoff fließt und es klingelt, wenn der Schlauch vom Füllstutzen genommen wird.

Diese kalten Vergleiche sind letztlich pure Erotik, wie sie in der zeitgenössischen Literatur sonst Alexander Kluge mit Bild und Subtext in Szene setzt. Die angesprochenen Frauen erzählen von ihrem Alltag, die meisten führen die Sexarbeit als anerkannten Service ab, kulturell mit höflichem Gestus unterfüttert.

In einem kühnen Vergleich fragt sich der Leser, wie man diesen Bangkok-Blick transportieren könnte, wenn man etwa den heimischen Tourismus hinterfragen wollte. In so einer Geschichte würde jemand von fünf Pisten berichten, die er mit den Schiern abgefahren ist, jedes Mal von Frauen im aufgeplusterten Dirndl empfangen, wenn er das Hotel betritt. Die Gefühle des Konsumenten wären ähnlich, ob er nun in Bangkok eine Begegnung bucht oder in den Alpen eine Piste.

Auf die Spur, große Themen kühl zu lesen, bringt einen bereits die erste Geschichte „Rejoice“. Der Ich-Erzähler ist seit dem Studium nicht mehr auf dem Salzburger Untersberg gewesen, wiewohl dieser immer in der Nähe ist. Jetzt macht er sich auf zu einer keltischen Höhle, um sich von der Kühle inspirieren zu lassen für seine nächsten Entscheidungen. Soll er sich auf ein Kind einlassen? Während er im Zeitloch der Höhle sitzt, wird er abgebrüht wie nach einem heftigen Orakel. Er wird die richtige Entscheidung treffen, das hat ihm die Höhle vermittelt. Der Titel „Rejoice“ geht auf ein Höhlenerlebnis von William Butler Yeats zurück.

Sei beglückt – Rejoice! (5)

Die Erzählungen nehmen oft ein literarisches Pflichterlebnis zum Anlass, um aus einem Zitat, einem Bonmot oder einem poetischen Suspense eine Geschichte zu generieren, die stracks aus dem Alltag entwächst und jäh darin wieder verschwindet. Die Erzählungen sind poetische Gedankenausschläge im besten Sinne des Wortes.

„Nachmittag eines Fauns“ berichtet von einer kurzen Begegnung in der Salzburger Mittagspause, als der Erzähler auf eine Amerikanerin trifft. Sie unterbricht ihre Europatour für ein paar Augenblicke, er seine Karriere als Flaneur, beide können sich vorstellen, dass etwas Größeres daraus wird, ehe die Fische im Teich wieder die Flossen bewegen und weiterschwimmen.

„Zwölf Jahre und ein Tag“ geht den Fährten dreier Schriftsteller nach, die paradigmatisch einen Vormittag oder Nachmittag beschreiben. Die Zitat-Kette von F. Scott Fitzgerald über Peter Handke hin zu Pak Taewon zeigt unterschiedliche Zeitempfindungen, wenn die erzählten Geschichten ihre individuelle Zeitmessung verlangen. Der koreanische Schriftsteller Pak Taewon (1909–1986) sticht mit seiner Biographie ins Auge, als er sich als Südkoreaner nach Nordkorea hinwendet und prompt vom Süden in die Vergessenheit gedrängt wird. Die Literatur freilich hat ein eigenes Zeitmanagement für politische Vorgänge, sodass er selbst als verbotener und unbekannter Dichter unsterblich wird.

Eine Zeile aus der Offenbarung des Johannes bringt einen gewissen Georg Oklopsia auf die Idee, sein Leben zu verändern. Im österreichischen Militär-Schematismus hat jemand dieses Namens an einer Schlacht teilgenommen und stirbt 1851. Der Held der aktuellen Geschichte freilich durchwatet die Einsamkeit einer generellen Quarantäne, sodass er völlig auf ahistorisch getrimmt jedes Schicksal in jedem Schematismus annehmen kann. Während die Maßnahmen gegen die Seuche wieder verschwinden, behält Georg Oklopsia seinen Lebensstil bei, nämlich als Einzeller der Geschichte sich den historischen Leistungen von Architekten, Philosophen und Theologen zu stellen, die ihm in Gestalt der Stadt Salzburg entgegentreten.

In der Abschlussgeschichte, korrespondierend zur keltischen Höhle am Beginn, sitzt ein Held abermals mit einem Lebensproblem herum. Er hat die Scheidung hinter sich gebracht und ist gerettet, als er im Salzburger Café sitzend die Lektüre des Vorabends durchgeht als „Erinnerung und Vergessen“. Nach Augustinus sind Selbsterkenntnis und die Vereinigung mit Gott nur in der Innenschau, in der Beobachtung seiner selbst und nicht in der Außenwelt zu finden. (103)

Peter Simon Altmann lässt seine Helden Frieden finden, indem sie die richtigen Orakel, Cafés, Frauen oder Bücher nützen, um über sich klar zu werden. Und als Leser kann man sich zusätzlich seines Buches bedienen, um diesen Frieden mit sich selbst anzusteuern.

Peter Simon Altmann, Die Nächte von Bangkok. Erzählungen
Innsbruck: Edition Laurin 2023, 112 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-903539-31-0

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Peter Simon Altmann, Die Nächte von Bangkok
Wikipedia: Peter Simon Altmann

 

Helmuth Schönauer, 17-10-2023

Bibliographie

AutorIn

Peter Simon Altmann

Buchtitel

Die Nächte von Bangkok

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

112

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-903539-31-0

Kurzbiographie AutorIn

Peter Simon Altmann, geb.1968 in Salzburg, lebt in Salzburg.