Paul Divjak, Ich liebe Österreich, Österreich ist meine Lieblingsstadt

paul divjak, ich liebe österreichWährend in den meisten Ländern es für den Patriotismus genügt, wenn man die jeweilige Nationalhymne beherrscht, muss man in Österreich mangels Selbstbewusstsein des Landes noch ein paar pfundige Sätze aufsagen, die von den Vorrednern ausgesprochen massenhaft herumliegen. Zudem ist das Land ein Paradies für verschmitzt-denkende Schriftstellerinnen, von denen wegen der vielen Leseauftritte jede einen guten Sager auf Lager hat.

Paul Divjak stellt mit seiner patriotischen Sätze-Fabrik die neuesten Sprüche über Österreich zur Diskussion. Sein Projekt ist ein Meilenstein des verbalen Patriotismus, werden doch die Sager mit künstlicher Intelligenz hergestellt.

Wie schon im Buchtitel angedeutet, gleichen sich an Schlüsselstellen Patriotismus und künstlich erzählter Intelligenz, indem sie aus einem Floskelvorrat das beste und letzte herausholen. Österreich zur Lieblingsstadt zu erklären freut vom Touristiker bis zum Fabrikanten jeden, bedeutet es doch eine unheimliche Aufwertung des Labels Österreich. „Österreich ist ein guter Standort“, könnte man gleich dichten, aber da ist schon ein ähnlicher Satz in der Materialienmappe:

Österreich ist nicht mehr Top-Zielland für Schlepper. (Heute) (89)

Das Projekt „ich liebe Österreich“ hat Paul Divjak in drei Teile gegliedert. Im vorderen Teil hat ein Algorithmen-Programm verrückt gute Sätze zusammengestellt, die sich nur schwer von analogen „Grund-Sätzen“ unterscheiden, zumal sie jeglichen fixen Kontext vermeiden und als semantisches Treibgut durch die Gegend schwirren.

Zu den Sätzen fallen einem Dutzende Möglichkeiten ein, wie man diese Floskeln anwenden könnte, von der Erste-Mai-Feier angefangen, über die Siegerehrung nach dem Abfahrtsrennen bis hin zur dankbaren Formulierung einer migrierenden Person, die soeben einen geduldeten Status überreicht bekommen hat.

In einem Zwischentext, der logischerweise als Nachwort zu dieser Plantage von Österreich-Sätzen fungiert, schreibt Franzobel über die Möglichkeiten der Literatur, die bei klugem Einsatz der Erzähl-KI entstehen kann. Und da Österreich wahrscheinlich als Ganzes eine Haupterscheinungsform der KI ist, passt natürlich jeder Satz, so künstlich und intelligent (die Haupteigenschaften Österreichs) dieser auch erscheint.

Franzobel nennt seinen Aufsatz „Die Verfelixisierung Österreichs“, darunter versteht man eine Verballhornung des Spruchs, wonach Felix-Austria gefälligst heiraten, statt Krieg führen soll. Dem ironisch aufgelegten Franzobel ist freilich auch zuzutrauen, dass er die Verhöhnung eines Landes durch Volksstücke meinen könnte. In Tirol jedenfalls versteht man unter Felixisierung den Dauerauftrag für Verkitschung an Felix Mitterer durch ORF und andere öffentliche Hände.

„Jeder Österreicher ist sein eigener Kleinstaat, insofern gibt es Österreich gar nicht.“ (54) Nach dieser Logik ist es freilich möglich, neben dem Schifahren und Dichten auch in den Disziplinen Kochen und Häuslbauen groß zu sein, in allen diesen Disziplinen ist jedenfalls eine gewisse Eigenbrötelei von Vorteil. Der Essay endet mit dem Seufzer „Tu felix Austria“ und rundet das Bild von der Verfelixierung ab, während auf der gegenüberliegenden Seite der Ausschnitt einer abgelaufenen Uhr mit der Zeile unterlegt ist: „In Österreich wird der intensive intellektuelle Fluss der Zeit oft in Form von Übertreibung ausgedrückt.“

Das letzte Drittel des Buches gehört den Quellen, die ja das Futter für das KI-Programm darstellen. Manche Sprüche erhalten ihren Sinn erst dadurch, dass man sie mit der Google ins Thailändische übersetzt und wieder zurück. Diese Methode poppt sogar heftige Gedanken-Spitzen von Hilde Spiel, Helmut Qualtinger, Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek.

Drei „Ur-Quellen“:

  • Österreich ist ein Labyrinth, in dem jeder sich auskennt. (Helmut Qualtinger) (61)
  • Wenn die Österreicher von uns Reparationen verlangen sollten, dann werde ich ihnen die Gebeine Adolf Hitlers schicken. (Konrad Adenauer) (70)
  • Vom Hotelier gegrüßt zu werden, ist eine Annehmlichkeit, der zuliebe der Österreicher überhaupt ins Gasthaus geht. (Karl Kraus( (83)

Paul Divjaks Projekt gleicht einem „Jungbürgerbuch“ alter Schule, wie es den Bewohnern des Landes lange Zeit zur Geschlechts- und Staatsreife überreicht worden ist. Der Wahnsinns-Kosmos Österreichs ist noch lange nicht ausgereizt. Erst wenn tiefsinnige Quellen mit dem flachen Satzbau der KI in Einklang gebracht werden, lässt sich vielleicht diese „Dämonie der Gemütlichkeit“ (Hilde Spiel) besser begreifen.

Paul Divjak, Ich liebe Österreich, Österreich ist meine Lieblingsstadt. Mit einem Nachwort von Franzobel
Klagenfurt: Ritter Verlag 2023, 96 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-85415-656-7

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Paul Divjak, Ich liebe Österreich, Österreich ist meine Lieblingsstadt
Wikipedia: Paul Divjak

 

Helmuth Schönauer, 25-06-2023

Bibliographie

AutorIn

Paul Divjak

Buchtitel

Ich liebe Österreich, Österreich ist meine Lieblingsstadt

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

96

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-85415-656-7

Kurzbiographie AutorIn

Paul Divjak, geb. 1970, lebt in Wien und Südostasien.