Martin Kolozs, Die Geschichte geht so

Erzählen heißt normalerweise, dass etwas in einem Zeitablauf von früher in einen Zeitablauf der Gegenwart gebracht wird. Wie bei einer Sanduhr gibt es ein Stoffdepot, das über die Engstelle in die Gegenwart rinnt.

Martin Kolozs Erzählung Die Geschichte geht so ist eine Erzählung über das Erzählen. Dabei wird so gut wie alles verrückt, die Spielregeln werden ununterbrochen verändert, Vergangenheit kann Zukunft sein, die Gegenwart ein Stoffuniversum an Gleichzeitigkeit.

In vierzig kleinen, kompakten Szenen wird letztlich klar, dass man die Zeit aushebeln kann, wenn man dafür das Brecheisen einer guten Literatur zur Verfügung hat.

Rein äußerlich passiert scheinbar etwas ganz Normales, ein Psychiater macht sich auf, um einen etwas schrulligen Alten zu testen und vielleicht ein Gutachten zu verfassen, worin dessen Geisteszustand gewürdigt wird.

Aber für so ein Unterfangen müsste man wissen, was normal ist und was verrückt, was simples physikalisches Gesetz ist und was Zauberei. Dem Psychiater spielt bald einmal seine eigene Wahrnehmung wilde Streiche. Er glaubt sich, noch während er die Dinge sieht, nichts, wie soll er da für andere etwas klar machen. Der Alte nämlich ist gar nicht so verrückt, er verwendet einfach ungewöhnliche Gerätschaften für sein Tun. Und er nimmt es mit der Zeit nicht so genau.

Viele Stationen der Erzählung sind daher seitenverkehrt angelegt wie ein Kartenblatt, das man verkehrt herum hält. Manchmal geht die Entwicklung statt in Richtung Pension stracks zurück in die eigene Kindheit, und es macht eigentlich keinen Unterschied.

Gegen Schluss haben offensichtlich die beiden Protagonisten ihre Rollen getauscht, denn der Psychiater ruft bei sich zu Hause an und ist verwundert, dass er zu Hause selbst abnimmt und seine eigene Stimme als Gegenüber hört.

Letztlich ist auch der Unterschied zwischen Echtzeit und erzählter Zeit aufgehoben, die Geschichte macht sich ihre eigene Realität und endet in einer Endlosschleife. Denn kaum ist scheinbar alles erzählt, kommt die magische Fügung, mit der wieder alles von vorne beginnt, nämlich die Geschichte geht so...

Martin Kolozs hat eine verrückt realistische Geschichte aufgeschrieben, als Leser steht man auf manchen Seiten neben sich und schaut sich beim Lesen zu, die innere Logik hat Zaubersprünge und Realitätsabschürfungen, die es locker mit Alice im Wunderland aufnehmen. Und manchmal wird der Sound ganz schlicht und einfältig, in diesen Sätzen sind dann die höchsten Wahrheiten eingeschlossen. "Man soll einer guten Geschichte nie vorausgreifen, das nimmt ihr die Spannung" (58) sagt einmal der Alte, und meint vielleicht die ganze Literaturgeschichte.

Martin Kolozs, Die Geschichte geht so. Erzählung. Mit einem Vorwort von Felix Mitterer.
Weitra: Bibliothek der Provinz 2007. 64 Seiten. 13,-. EUR. ISBN 978-3-85252-748-2.

 

Weiterführende Links:
Bibliothek der Provinz: Martin Kolozs, Die Geschichte geht so
Wikipedia: Martin Kolozs

 

Helmuth Schönauer, 11-09-2007

Bibliographie

AutorIn

Martin Kolozs

Buchtitel

Die Geschichte geht so

Erscheinungsort

Weitra

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

64

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-85252-748-2

Kurzbiographie AutorIn

Martin Kolozs, geb. 1978 in Graz, lebt in Innsbruck.