Simon Konttas, Der Lauf aller Dinge

simon konttas, der lauf aller dingeGedichte sind letztlich Vorschläge für Rituale, mit denen das Nicht-Messbare gemessen und das Nicht-Fixierbare eingefangen werden kann. Dabei wird „der Lauf der Dinge“ für Augenblicke als Andeutung einer Bewegung sichtbar, während diese Dinge schon wieder verschwunden sind.

Simon Konttas hat zum Einfangen der flüchtigen Dinge ein weißes Netz aus Papier gewählt, dieses wird durch die Zeit gezogen wie ein Filter für halb ausgestorbene Insekten, – und am Ende der Schreibbewegung sind vierundzwanzig Gedichte eingefangen und liegen auf dem Weiß als zappelnde Zeilen und Wort-Partikel.

Der Gedichtband „Der Lauf aller Dinge“ ist eine großformatige Einladung, außen weiß, innen weiß, mit weißen Zwischenblättern wie bei alten Fotoalben. Diese „Umhüllung“ ist bereits Teil der lyrischen Inszenierung, die aus Text und Ritual besteht. Beinahe erhaben-zeremoniell erscheint die Ausformung des Textes in Verse und abgerissene Zeilen, das Solitäre lässt sich auch in der Wahl der Motive erkennen: Kind, Am Rand des Dorfes, Abendstimmung oder Felssturz lassen schon durch die Überschrift beim Leser erste Bilder entstehen, die anschließend beim Entrollen des Texte durch eine leichte Bedeutungsverschiebung Plastizität erlangen. Die evozierten Bilder steigen während ihrer Anwendung durch Lektüre auf, einem reinigenden Rauch ähnlich.

Die zwei Dutzend Gedichte sind einerseits um klassische Empfindungsmotive aus der Romantik angesiedelt, andererseits um philosophische Begriffe wie Pflichten, Bewusstsein, Entfremdungen, wenn im Stile eines Essays der Stoff in eine brauchbare Anwendung übergeführt wird. Und die dritte Kategorie der Gedichte könnte man mit Bewegung, Vigilanz und Zeit-Verdunstung überschreiben. In diese Kategorie gehören auch die beiden letzten Gedichte „Der Lauf der Zeit“ und „Zwischen den Jahren“.

Als Programm für den ganzen Band tauchen im Gedicht vom „Lauf aller Dinge“ Zitate aus längst vergangenen Tagen auf, wenn für ein Kind das erste Bilderbuch formuliert werden muss, vorsichtig, damit niemand erschrickt.

„Der Pastor predigt den Kaltherzigen, / der Dichter gibt sein Schönstes, / wirft Perlen vor die Säue. […] Die Glocken läuten, / der Dichter klappt seine Mappe zu, / das Publikum klatscht / und Liebende gehen zugrunde an gebrochenem Herzen. / Finie la comédie, Vorhang! / Und gute Nacht.“ (79)

Der Akt des Dichtens ist eingekeilt zwischen dem Zeremoniell des Pastors, der Perlen-Ästhetik der Literatur und der zerbrochenen Liebe. Der Lauf der Dinge endet bestenfalls in einer Komödie, und wer Glück hat, vor dem fällt rechtzeitig der Vorhang. Stilistisch schwebt über diesen Sätzen der magische Duktus eines Georg Trakl, wenn er in religiösen Formeln den Abend in ein Gebet verwandelt. Bei Simon Konttas klingt dieser Sound als Zitat mit, aber er transformiert diese Stimmung aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in die Gegenwart und evoziert mit prosaischer Fassung eine Zeit, die noch nicht final beschrieben werden kann. Der Lauf der Dinge wird biblisch-lapidar zusammengefasst: „Wer gibt, wird immer geben. / Und wer nichts hat, dem wird / das Letzte, was er hat, genommen.“ (80)

Simon Konttas greift gerne auf Szenerien zurück, die in peripheren Gegenden verankert sind. Diese lassen sich wahlweise als mittlerer Westen oder finnisches Kiefernland abrufen. Nirgendwo verfestigt sich die Literatur in einem so unerbittlich trockenen Modus, wie am Rand eines Dorfes, wenn die Pionierpflanzen das Ende des Asphaltstreifens markieren, der in blütenlose Brachlandschaft übergeht.

Ein Pastor versucht vergebens, Ordnung und Schöpfergeist in die Randlage zu bringen, der Asphalt ist zwar makellos, aber die Zeit rückt nicht weiter, seit die Arbeiter in die permanente Rauchpause gegangen sind.

Sie vergehen also die Jahre. Es ist erstaunlich, / wie die Blätter grünen, um zu verfaulen, / um Erde zu werden: aus Erde wurdest du genommen, / zu Erde sollst du werden. (45)

Ein Bursche verlässt den Asphaltplatz und radelt zum Gotteshaus, wo der Pastor gerade diese Sätze von der Erde sagen dürfte. Das poetische Ich verliert ihn aus den Augen, vielleicht, weil die Sonne blendet.

Bemerkenswert am Lauf der Dinge ist die Verknüpfung der Globalisierung mit dem nächstbesten Marktplatz. Im „naiven Globalisierungsgedicht“ (25) lässt sich der Weltgeist jäh auf den Koordinaten der finnischen Küstenstadt Vaasa nieder. In einem Supermarkt im Stile eines russischen Holzhauses erfasst den lyrischen Berichterstatter ein gelangweiltzer, pathetischer Weltüberdruss. „Vor zehn Jahren, als ich selbst hier wohnte, gab es das alles nicht zu kaufen: Kichererbsen, Tahin, orientalische Gewürze, Linsen der verschiedenen Sorten, Schweizer Käse, […]“ Aber die Werbeplakate sind überall auf der Welt die gleichen, sie können in Dubai hängen oder in Vaasa.

Es ist dieser makellos ungeschminkte Ton zwischen Bilderbuch und Bibelzitat, der zwischen den Gedichtzeilen vermuten lässt, hier könnte eine besondere Wahrheit liegen.

Der Lauf aller Dinge ist jedenfalls als Verlangsamung des Tages zu lesen. Für diesen Zweck sind zwischen den Gedichten weiße Blätter ausgelegt, – sie gleichen Schalen bei einer Teezeremonie und locken die Gedanken an.

Simon Konttas, Der Lauf aller Dinge. Gedichte
Wien: Edition Melos 2023, 84 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-9505384-0-3

 

Weiteführende Links:
Edition Melos: Simon Konttas, Der Lauf aller Dinge
Wikipedia: Simon Konttas

 

Helmuth Schönauer, 06-02-2023

Bibliographie

AutorIn

Simon Konttas

Buchtitel

Der Lauf aller Dinge. Gedichte

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Edition Melos

Seitenzahl

84

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-9505384-0-3

Kurzbiographie AutorIn

Simon Konttas, geb. 1984 in Helsinki, lebt in Wien und Baden.

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