Daniela Schlechter-Kitzbichler: Lesen und Lernen mit den Lamas

In vielen Fibeln taucht das Wort „LAMA“ gleich auf den ersten Seiten auf, da L, M und A Buchstaben sind, die häufig am Beginn des Leseerwerbs vermittelt werden. Am mehr als 500 Jahre alten Bio-Bauernhof „Wald am See“ in Kitzbühel unterstützen neben speziell ausgebildeten und trainierten Tieren auch Lamas das Lernen  und somit auch das Lesenlernen.

Sonderschulpädagogin Daniela Schlechter-Kitzbichler erklärt im folgenden Interview für „Lesen in Tirol“ was "Tiergestützte Therapie und Pädagogik" ist und welche Ziele sie verfolgt.

Zudem bietet die Familie Kitzbichler Workshops, Lama-Trekking-Touren, Projekte für Schulen, Kindergruppen, Kinder mit besonderen Bedürfnissen, aber auch Therapie für Erwachsene an. Ja, sogar seinen Geburtstag kann man mit etwas Glück am Bauernhof feiern. 

Lesen in Tirol:
In Tirol seid ihr der erste vom ÖKL (Österreichisches Kuratorium für Landtechnik und Landentwicklung) zertifizierte Hof für „tiergestützte Therapie, Pädagogik und soziale Arbeit am Bauernhof.“ Du hast dafür einen berufsbegleitenden Lehrgang besucht. Erzähl uns bitte etwas über deine Ausbildung.

Daniela:
Als Voraussetzung für die Ausbildung zur Tiergestützten Fachkraft ist ein entsprechender pädagogischer bzw. sozialer oder therapeutischer Grundberuf erforderlich.
Als Sonderpädagogin besuchte ich den Zertifikatslehrgang „Tiergestützte Pädagogik, Therapie und Soziale Arbeit am Bauernhof“ von April 2012 bis November 2013. Die ÖKL-Zertifizierung basiert auf 5 Säulen und wird in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen im landwirtschaftlichen Bereich durchgeführt:

  1. Fundierte Ausbildung: Ich habe während der Ausbildungszeit auf den verschiedensten Höfen in Österreich praktisches und theoretisches Wissen rund um die Haltung, das Training, die Methodik und Didaktik für die Planung und Ausführung von Tiergestützten Interventionen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erhalten. Abgeschlossen habe ich meine Ausbildung mit einer schriftlichen Arbeit und deren Präsentation mit einem Video über meine praktische Arbeit mit KlientInnen.
    2. Weiters wurde die artgerechte Nutztierhaltung von der Landwirtschaftskammer überprüft und durch den Stallbauberater bestätigt.
    3. Die Gesundheit der Tiere wurde durch den Tierarzt überprüft und bestätigt.
    4. Die Sicherheit am Hof und rund um den Hof wurde ebenfalls überprüft und mit einer Sicherheitsplakette ausgezeichnet.
    5. Schließlich wurden noch die gezielte Auswahl und das Training der Tiere von einer Kommission vom ÖKL überprüft.
    Erst nachdem alle fünf Säulen erfolgreich erfüllt bzw. ausgeführt waren, erhielt ich (bzw. auch unser Hof) als erster in Tirol die Zertifizierung für die "Tiergestützte Pädagogik, Therapie und soziale Arbeit."

    Zusätzlich habe ich in dieser Zeit auch das Propädeutikum absolviert.


Lesen in Tirol:
Welche Tiere leben derzeit mit deinem Mann Roman und deinen beiden Töchtern am Bauernhof?

Daniela: 
Zurzeit leben Lamas, Esel, Pony, Schafe, Kaninchen, Hühner und Laufenten auf unserem Hof, die alle artgerecht in verschiedenen Stallungen bzw. auf der Koppel und auf der Weide gehalten werden.

Lesen in Tirol:
Wie bist du gerade auf die  „Lamas“ gekommen?

Daniela:
Durch einen Fernsehbericht über einen Lamahalter der mit SchülerInnen eines Sonderpädagogischen Zentrums arbeitet und interessante Erfolge aufzeigte. Anschließend habe ich mich im Internet schlau gemacht und bin auf spannende Ausbildungsangebote und Berichte gestoßen, die mein Interesse verstärkt haben.

Lesen in Tirol:
Wie unterstützen die Tiere am Hof, speziell die Lamas nun das Lernen und somit auch den Leseerwerb?


Daniela:
Lamas vermitteln positive Erfahrungen über alle Sinne. Sie reagieren beispielsweise auf unpassendes Verhalten mit passivem Widerstand, also völlig ungefährlich aber effektiv.
Die Kinder und Jugendlichen können ihre Aufgaben selbstgesteuert erfüllen und dadurch wird ihnen Selbstsicherheit und Selbstvertrauen vermittelt, Geduld und Durchhaltevermögen werden verbessert. Für die jungen Menschen kann dies einen nachhaltigen Beitrag zum Aufbau von Selbstbewusstsein, angemessenem Sozialverhalten undpraktischen Kompetenzen leisten.
Zum Beispiel darf beim Erlernen vom Buchstaben „L“ das Lieblingslama auf keinen Fall fehlen. Bei weiteren Übungen ersetzt es auch einen Teil vom Buchstaben. Beim Lesetraining beispielsweise befestigen wir Wort- und Bildkarten, Frage- und Antwortstreifen zu Lesetexten usw. mit Wäscheklammern am Fell der Lamas. Diese werden anschließend gelesen und richtig zugeordnet bzw. vom Fell genommen.
Im Anschluss an die „Tiergestützten Einheiten“ mit unseren Tieren und der dadurch erhöhten Aufmerksamkeit, der gesteigerten Kommunikation und der verbesserten Wahrnehmung werden dann auch in den neu adaptierten Räumlichkeiten das Lesen, Schreiben, Rechnen uvm. erfolgreicher gelernt, geübt und gefestigt.
Der Einsatz der Tiere wirkt sich auch positiv auf das Wohlbefinden und das Verhalten der Kinder und Jugendlichen aus und so werden neben den Kulturtechniken und den motorischen Fähigkeiten auch soziale und emotionale Kompetenzen gefördert.

Lesen in Tirol:
Ihr habt am Bauernhof auch eine richtige Schule mit Klassenraum und Unterricht?
Durch den Schulversuch „Tiergestützte Pädagogik“ mit der Sonderschule in St. Johann i. T. können die SchülerInnen an bis zu 2 Tagen in der Woche am Hof anstatt in der Schule verbringen. Dafür haben wir einen Klassenraum ausgebaut,  Sanitäranlagen und eine Küche eingerichtet.

Zurzeit läuft auch ein Projekt mit Volksschulklassen zum Thema „Gewaltprävention im Sinne der Förderung positivbesetzter gemeinsamer Erfahrungen durch eine tiergestützte Pädagogik“. Auch hier verbringen SchülerInnen  Vormittage bei uns am Hof. Dabei wird die Tiergestützte Pädagogik in den Unterricht einbezogen und auf die Klasse und ihre Bedürfnisse abgestimmt.
Sehr gerne würde ich mit Schulklassen ein Lese-Projekt starten … „Lesevergnügen in der Natur, im Stall und mit den Tieren“ …

Lesen in Tirol:
Der große Bauernhof mit Schule ist wunderbar gepflegt und bis ins Detail liebevoll gestaltet. Wie schafft ihr das gewaltige Arbeitspensum?

Daniela:
Wir sind ein Familienbetrieb, begeistert und überzeugt von dieser Art des Lernens und der Förderung von emotionalen, sozialen, kognitiven und motorischen Fähigkeiten. Die strahlenden Augen der Kinder und Jugendlichen, der Begeisterung und Freude, wenn sie zu uns kommen und auch die erzielten Erfolge sind sozusagen unser „Motor“. Ausgleich finden wir in der Natur und mit unseren Tieren.

Lesen in Tirol:
Hast du konkret ein paar Literaturtipps für Interessierte, die sich ins Thema weiter vertiefen wollen?

Daniela:
„Menschen brauchen Tiere“
von Prof. Dr. Oblrich und Dr. Carola Otterstedt, Kosmos Verlag

„Bindung zu Tieren“ von Henri Julius, Andrea Beetz, Kurt Kotrschal, Dennis C. Turner, Kerstin Uvnäs-Moberg

„Lamas und Alpakas in der pädagogischen Förderung von Kindern und Jugendlichen“ von Cosima Boyle, Reinhardt Verlag

„Esel und Mensch – Tiergestützte Aktivitäten, Pädagogik und Therapie" von Anahid Klotz, BoD Verlag

Lesen in Tirol:
Was macht man konkret, wenn man bei euch ein Angebot nutzen möchte? Wie lange vorher muss man buchen? Mit welchen Kosten muss man rechnen?

Daniela:
Am besten bei uns anrufen oder eine Mail schreiben. Gerne stellen wir individuelle Programme mit Workshops usw. zusammen. Die Kosten hängen von der Gruppen- bzw. Klassengröße und der Dauer des Besuches (halbtags, ganztags, Projekttage) bei uns ab. Für dieses Schuljahr sind wir schon komplett ausgebucht. Für das kommende Schuljahr kann man sich jederzeit melden.


Lesen in Tirol:
Liest du selber gerne? Was?

Daniela:
Ich lese sehr viel fachspezifische Literatur. In den Ferien lese ich dann „nur“ zum Vergnügen, am liebsten Kriminalromane wie z. B. „Tod in Kitzbühel“ von Edwin Haberfellner.

Lesen in Tirol:
Traditionell an dieser Stelle ein persönliches Schlusswort von dir für die LeserInnen:

Daniela:
Wir leben alle von dem, was uns Menschen, Tiere und die Natur in bedeutungsvollen Stunden unseres Lebens geben und gegeben haben.

Lesen in Tirol:
Herzlichen Dank für das interessante Interview und weiterhin viel Erfolg mit der "Tiergestützten Pädagogik"!

Kontakt:
Daniela Schlechter :
Schreibühelweg 29
6370 Kitzbühel
fon: +43 664 73520225

Quelle Fotos:
Fotos mit Lamas: Überall
weitere Tierbilder: Popp
Bilder von der Schule: Raffeiner

 

 

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