Joachim Gunter Hammer, Glückes schiefe Türme

joachim hammer, glückes schiefe türmeWerkzeuge lassen sich in zwei Richtungen hin einsetzen, einmal, um einen bestimmten Sachverhalt zu erkunden, zu korrigieren oder zu optimieren, und im umgekehrten Sinn, indem man schaut, wofür sich dieses Werkzeug zusätzlich verwenden ließe.

Joachim Gunter Hammer hat über Jahrzehnte hinweg lyrisches Werkzeug erfunden, mit dem er vor allem phänomenologische, botanische oder molekular-physikalische Vorgänge erkundet. Als „Schweizermesser“ dieser lyrischen Erforschungen dienen ihm oft 17- und 19-Silbler. Diese an alte fernöstliche Dichtkunst anknüpfende Schärfe im Umgang mit Silben und Wortmaterial bewährt sich auch im europäischen Gebrauch, wenn Vorgänge aus der politischen Schwarzweißmalerei plötzlich mit einem über-sensiblen Besteck zerlegt und einem neuen Sinn zugeführt werden. In einer schlagwortartigen Einschätzung der Lyrik von Joachim Gunter Hammer könnte man sagen, seine Gedichte laufen ähnlich quer durch die Welt wie das heiße Messer durch die Butter.

Seine aktuellen Gedichte „Glückes schiefe Türme“ sparen den Hinweis auf die 17- und 19-Silbler aus, wiewohl diese natürlich in mehreren Schüben den größten Anteil am Gedichtband haben. Im Inhaltsverzeichnis sind 23 Gedichte angekündigt, die Hälfte davon ist als „Silbler-Kompendium“ angelegt, das sich jeweils über mehrere Seiten erstreckt.

Unter dem Titel „Brekzie aus Glick Gleck Glack Glock Gluck“ gibt es zu Beginn eine Art These zum Glück, der Text führt dabei wie ein rechtsbündiger Pfeil mitten ins Thema hinein.

Das Gedicht endet mit der „Empfehlung“ für das finale Glück, sich stoisch hinzugeben und „einst in die Leere mündend sein Leben zu erfüllen“. (5) Diese Erkenntnis ist freilich sofort wieder relativiert durch ein Fragezeichen.

Das Besondere der Gesteinssorte „Brekzie“ liegt übrigens darin, dass sie aus Gesteinstrümmern besteht, die durch eine „feinkörnige Grundmasse verkittet“ ist – durchaus ein wunderbares Fundament für Glück.

Für eine erste Orientierung im Gedichtband sorgen sogenannte Voreinstellungen, die freilich als Tags im Traum gesetzt werden. Aus so einem Traum erwacht bleibt etwa in Erinnerung: „ein Schwall kalten Gelächters blies deinem Teelicht entgegen“ (6).

Der Titel gebende Schwerpunkt nennt sich „Glückes schiefe Türme“, in den 17/19-Silblern ist alles verbaut, was sich geometrisch zwischen dem schiefen Turm von Pisa und den babylonischen Ungetümen erahnen lässt. Die einzelnen Verfugungen des Baumaterials handeln von Glück und Unglück, das in kleinen Rissen großer Flächen nistet. Drei solcher Glückserfahrungen lauten etwa:

  - „Heute kein Unglück bis jetzt, / wenn das kein Glück ist, / und so unverdient.“ (8)
  - „Die Liebe schiefgegangen / einfach Pech gehabt / mit der Glücksmarie.“ (12)
  - „Welch Glück fiel dir zu, / Sisyphus zu sein / statt am Bergfuß dieser Stein!“ (23)

Als Übergang zum nächsten Hauptkapitel ist ein kleines Familienporträt dazwischen gehängt. In der neuen Familie (31) geht es um eine Großvater, der plötzlich in den frisch geschlüpften Vogelküken seine Enkelkinder erkennt, zumal das Glück in der Familie „leicht wie ein Vogerl“ verfliegen kann.

In den „Federstrichen“ (32) zerlegt die Schrift mit einem Federstrich die Welt, ohne dabei aber auf Vertrauen erweckende Erkenntnisse zu stoßen. Im Gegenteil, je genauer der wissenschaftliche Blick seziert, umso diffuser wird der Mythos, der sich aus den Schnittstellen ausbreitet.

Gedichte, ein Gelege, / worin du deinen Mythos / ausbrütest … (37)

Der große Ernst bei der Erforschung schiefer Glückstürme kippt zwischendurch ins Groteske und puren Frohsinn. Im Tomatendreier (61) treiben es diverse Gemüsesorten miteinander, als Schattengewächse bleiben sie freilich in ihrem Tun unentdeckt.

Recht naturbelassen naiv fragt eine politische Stimme nach dem tieferen Sinn heimischer Politik. „Hörst aufgeblasene Frösche / die Nacht durchquaken /auch im Tümpel Österreich?“ (81)

Die Poetologie einer lyrischen Seele zeigt sich an Schlüsselwörtern, die wie Reißzwecke in den Sound der Erkenntnis getrieben sind in der Hoffnung, dort fix verankert zu bleiben, um die Welt der Germanen abzuwehren samt dem fehlgeleiteten Treiben der Germanistik. Gedichte liegen wie Kuckuckseier in den Gelegen, um die seltene Wörter-Brut durchzubringen, und die Schreibhaut schließlich reißt an allen Ecken und Enden, während sie bekritzelt wird.

Überschrieben ist diese Überspitzung lyrischer Rituale mit „schwarze Mamba“, was in Tiroler Kreisen, dem dieser Zyklus gewidmet ist, als „Schwarze Mander“ gelesen wird. Der vollständige Titel freilich legt die Spur in jenes altersbedingte Reservat, in dem Reife und Ermüdung die Gedanken in Balance halten. „Als schwarze Mamba stehen noch / im graubehaarten Kopf / die Verse Schlange.“ (98)

17 Meisen im ergrauten Kopf, / aber heute / noch immer kein Haiku … (107)

Über lyrische Selfies, die schon während ihrer Entstehung den Geist aufgeben und als Ruinen in einem Niemandsland verschwinden geht es schließlich zum Schlussstein des Gedichte-Gewölbes: Das lyrische Ich begräbt einen Stein als Toten, der ihm während des täglichen Rundwegs Orientierung und Kraft gegeben hat. – Möge er als Schmetterling auferstehen.

Joachim Gunter Hammer, Glückes schiefe Türme. Gedichte
Wien: Verlagshaus Hernals 2023, 120 Seiten. 20,00 €, ISBN 978-3-903442-44-3

 

Weiterführende Links:
Verlagshaus Hernals: Joachim Gunter Hammer, Glückes schiefe Türme
Wikipedia: Joachim Gunter Hammer

 

Helmuth Schönauer, 07-10-2023

Bibliographie

AutorIn

Joachim Gunter Hammer

Buchtitel

Glückes schiefe Türme. Gedichte

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Verlagshaus Hernals

Seitenzahl

120

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-903442-44-3

Kurzbiographie AutorIn

Joachim Gunter Hammer, geb. 1950 in Graz, lebt Edelstauden.