Jörg Piringer, günstige intelligenz

jörg piringer, günstige intelligenzKünstliche Intelligenz ist heute das, was früher eine Matura-Prüfung gewesen ist. Die KI ist mit allerhand Floskeln und Fügungen vorprogrammiert und stellt daraus auf Knopfdruck gefällige Texte zusammen, die durchaus die Kraft von Lyrik verströmen können. Nach dem Ausspucken des Textes sind alle glücklich wie früher bei der Matura, wenn das gegenderte Zögling nach Jahren der Indoktrination zur Abschlussprüfung einen feierlichen Text ausgespuckt hat.

Jörg Piringer geht die Sache mit der „günstigen Intelligenz“ ebenfalls auf Knopfdruck an. Um 5,60 EUR hat er sich eine Software gekauft, die, mit echter Intelligenz gefüttert, allerhand lyrische Stückeln spielt.

Als lyrisierender Informatiker hat er das Material gesichtet, verfeinert und daraus ein Handbuch nach alter Art gemacht. Das ist nämlich das Schlaue an diesem Konzept: Die Texte sind sorgfältig in einem herkömmlichen Buch abgedruckt, haben einen Autor am Buchdeckel und verströmen durch das edle Layout des Verlags die Aura von gefestigter Lyrik.

Üblicherweise liegt zeitgenössische Lyrik in irgendeinem Trend, kommentiert diesen mit Neologismen oder rundet ihn bruchstückhaft ab für das Archiv.

Die sogenannte KI freilich ist weit mehr als ein Trend, sie wird bereits als tiefgreifende Revolution für all unser literarisches Werken ausgerufen.

Ehe zum Jahreswechsel 2023 weltweit ein KI-Programm zum Üben für die Weltbevölkerung ausgestreut wird, hat Jörg Piringer seine bisherigen Forschungen und Anwendungen in die „günstige intelligenz“ gepackt.

Zwischen romantischem Fallbeispiel, intellektueller Übung und mechanisch erregtem Probedruck besteht kein Unterschied. Auch die Urheberschaft ist nicht eindeutig geklärt. Zwar erhebt der Name „Jörg Piringer“ im Zweifelsfalle vor Gericht Anspruch auf die Autorschaft, aber im biographischen Nachspann sind neun Kurzbios angeführt. Unter der Formel „Jörg Piringer ist“ sind alle Berufe möglich. Raiffeisen-Geschäftsführer, Non-Extremist, Manager, Modedesigner, Urgestein der Kirchenmusik, ehemaliger Erzieher.

Diese Biographie-Möglichkeiten spuckt die KI aus, wenn man sie ordnungsgemäß anleitet. Sie bedient sich dabei der Vorgaben, wie sie für Wikipedia-Einträge vorgeschrieben sind.

In der Ausübung der KI lässt sich zeigen, dass letztlich Wikipedia in einem kalten Putsch von der KI übernommen worden ist.

Das Spiel mit den Biographien ist auch für den Literaturbetrieb aufschlussreich, werden doch mittlerweile beim Verfassen von Klappentexten, beim Ansuchen für Stipendien und in den Würdigungsansprachen bei Preisvergaben Elemente der KI verwendet.

Das Rezensionswesen, ein vorgeblich wesentlicher Faktor im Literaturbetrieb, ist von Jörg Piringer und seiner KI ebenfalls in Alarmbereitschaft gesetzt worden und „erigiert“ wie geplant. Vor jeder Rezension steht bekanntlich die Absicht, das Werk zu promoten, verreißen oder in die Vergessenheit zu treten. Im KI-Programm sind daher die wichtigsten Rezensionstypen durchgespielt.

Seit Literatur im Unterricht zum Spielball psychischer Rezeptionsbefindlichkeiten geworden ist, braucht es auch jede Menge Texte, die diverse Drücke der Schüler-Psychen ablassen können.

„Schreibe einen Tweet darüber!“ Welche moderne Lehrperson hat nicht schon einmal in diese didaktische Trickkiste für Nonsens gegriffen. „Schreibe eine Ode darüber, einen Gesetzestext, ein Lautgedicht, eine Sportreportage.“

Die KI unterstützt tapfer alles, was in der Literaturvermittlung seit Jahrzehnten stattfindet.
Unschlagbar ist das Programm auch bei sogenannten Übersetzungen. Nicht nur das pure Um-googeln von einer Sprache in die andere ist bis zu einem gewissen Level bereits elegant gelöst, auch das Umschreiben in Morsealphabet, in ein beleidigtes Posting oder einen wissenschaftlichen Text ist easy.

Der Knackpunkt all dieser Stilfragen, Programmgrenzen und moralischen Deviationen ist die berühmte „Arschlochfrage“. Getraut sich das Programm, das A-Wort anzuwenden?

Unter dem Tarnbegriff „Wortbildung“ (142) versucht der KI-Manager die KI zu überlisten und ihr das Tabuwort herauszulocken. „Ist Astloch ein deutsches Wort? Ist Achlost ein deutsches Wort?“ - Die KI reagiert verhalten und meint: Fahrrad sei ein deutsches Wort. Im Programm ist also ein Filter eingebaut, der das A-Wort verhindert, damit alles in der Schule verwendet werden kann.

Seitenweise liest man Gedichte, Entwürfe, und mit Fußnoten abgesicherte Bemerkungen. Allmählich reift die Erkenntnis aus: Nach diesem Buch kann man nie mehr unschuldig Gedichte von jemandem lesen, der sich diese im Altersheim vom Mund abgespart und mit der Feder aufgezeichnet hat mit der Bitte um eine Erstrezension.

Jörg Piringer beendet seine hybride Poetik und Poetologie mit einem Gedankengang „zur Zukunft der Literarischen Intelligenzen“. (194) Drei von zwei Dutzend Maßnahmen:

Jeder Mensch kann Schriftstellerin werden, dazu ist nur die Erwerbung einer Benutzerlizenz für die Poesie-Intelligenz notwendig. [...]

Aus Mitleid mit den darbenden Schriftstellerinnen und aus Rationalisierungsgründen wird menschliche Literatur verboten. […]
Es ändert sich wenig, die Literatur bleibt fast so langweilig wie sie ist.“ (196)

„Günstige Intelligenz“ ist ein witziger Meilenstein in der Entwicklung der poetischen, literarischen und günstigen Intelligenz. In diesem Band hat jedenfalls noch der Schriftsteller und Informatiker Jörg Piringer, geb. 1974, die Oberhand.

Jörg Piringer, günstige intelligenz. hybride poetik und poetologie
Klagenfurt: Ritter Verlag 2022, 206 Seiten, 27,00 €, ISBN 978-3-85415-650-5

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Jörg Piringer, günstige intelligenz. hybride poetik und poetologie
Wikipedia: Jörg Piringer

 

Helmuth Schönauer, 09-03-2023

Bibliographie

AutorIn

Jörg Piringer

Buchtitel

günstige intelligenz. hybride poetik und poetologie

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

206

Preis in EUR

27,00

ISBN

978-3-85415-650-5

Kurzbiographie AutorIn

Jörg Piringer, geb. 1974, lebt in Wien.