Joachim Gunter Hammer, Quantenschäume

joachim gunter hammer_quantenschäumeWenn ein physikalisches Thema mit einem Nobelpreis für Physik ausgestattet wird, sollte dann nicht auch in der Lyrik dieses Thema aufgegriffen werden?

Joachim Gunter Hammer verfasst schon ein Leben lang Gedichte, die in der Welt der Physik spielen, mit mathematischen Formulierungen jonglieren und biologische Kreisläufe jäh unterbrechen, um sie poetisch fortzusetzen.

Im Diskurs über seine Gedichte tauchen manchmal plastische Bilder auf, um die Vorgänge rund um seine Lyrik halbwegs in Worte zu fassen. Ein bemerkenswerter Vergleich spricht davon, dass Joachim Gunter Hammer nicht Gedichte „baut“, indem etwas aus dem Nichts konstruiert wird, sondern dass er sie „abbaut“, wie Erze in der Montanistik.

Tatsächlich fräst der Autor aus dem Gebirge der Sprache ununterbrochen Gänge, Irrwege, semantische Versorgungsstollen und poetische Kavernen heraus. Sein Bohrmeißel ist dabei der sogenannte „17- und 19-Silber“, mit dem er die Morphologie der Sprache bearbeitet.

Viele der Gedichte sind zeitgenössischen Lyrikern und Lyrikerinnen gewidmet, im Bergbauvergleich wären sie dann so etwas wie die Stollen-Paten, die aufpassen, dass es untertags zu einem Glückauf kommt.

Oft sind seine Lyrikbände sogenannte poetische Jahresbände, worin Natur, Physik und Biologie täglich neu erforscht werden, meist mit der Neugierde eines Erstforschenden.

Der aktuelle Band ist mit „Quantenschäume“ umschrieben, dabei stellt das lyrische Ich die konkrete Frage, „ob es unter Quantenschäumers Schreibtischlampe spukt?“. (7)

Der Quant, der den Schaum ins Wallen bringt, wird im Volksmund mit „Teilchencharakter“ übersetzt. Seit heuer der Nobelpreis an einen Teilchenforscher aus Innsbruck und Wien vergeben worden ist, sind die Quanten in aller Munde, und die meisten verstehen etwas Poetisches darunter.

Die Texte sind über weite Strecken als 17- und 19-Silber ausgestaltet, zwischendurch werden sie freilich auch durchsichtig und schimmern als luzide Notizen durchs Papier, an anderer Stelle verklumpen sie zu einem schweren Textquadrat, das wie eine Faust die Thesen ins Papier haut.

Manchmal sind die Stationen mit den beiden „Archaikern“ Taifuno und Chao-tse überschrieben, ihren sprichwortartigen Behauptungen lässt sich nichts entgegensetzen, weil sie sich jedem Argument rätselhaft entziehen.

Wow, du also bist das Nichts? (3)

Die Motive sind ähnlich einem Jahrbuch strukturiert, biologische Aberwitzigkeiten umkreisen ein Geschehen, dessen Gesetzmäßigkeiten nicht mehr gelten. Mutation ist angesagt, oft verändert sich die genetische Information eines Verses wie von der berüchtigten Genschere zerschnitten.

Zwischen den Auftritten von Quanten und der soliden Basis des poetischen Bergbaus sind permanent Verbindungen geknüpft, am stärksten erweisen sich dabei die Flechten.

Flechten-Poesie / den Stein besiedelnd des unsichtbaren Berges. (50)

Dieser seltsame Berg aus Sprache und Quanten wird stilgerecht von einer Sisypha berollt (34), wenn sie in Gestalt einer Pillendreherin die Nacht zu durchtauchen versucht.

Quantenmusik auf einem Luftpiano vorgetragen, ein Spurwechsel unter dem Mikroskop und ein Krieg, der jäh mit unerhörtem Vokabular einsetzt und in der zynischen Formulierung mündet: „Hauptsache, Gott ist aus dem Schneider“ (102): Diese Motive ragen aus dem Textrumpf wie zur Unzeit ausgefahrene Überrollbügel.
Die Texte könnte man auch nach ihren Anlässen „quantifizieren“.

1. Bei der Lektüre der Theorie der Teilchenphysik entstehen komplizierte poetische Gegenentwürfe. „Teilchenphysik 2 // Im Interferenzmuster / meiner Gedichte vermeinte ich / die Wechselwirkung verschiedener / Versiunen [sic!] wahrzunehmen, und / fragte auch mein lyrisches Du, wie / wahrscheinlich es sei, dass / seiner poetischen Intuition / die absurde Quantenwelt / zu Grunde läge.“ (114)
2. Nach dem Zufallsprinzip eines lyrischen Producers entstehen erste Entwürfe: „Backhendlstation auf drei Bierdeckel skizziert“ (128)
3. Im Sinne eines globalen Selfie knipsen sich am anderen Ende der Welt autochthone Schnappschüsse, „Schnappschüsse aus Siam“. (149)

Die Quantenschäume mit ihrem hohen Anteil an Biomasse enden wie selbstverständlich mit dem Tod. Zuerst erscheint dieser wie bei einer Fehlzündung als „Fehltod“, das heißt, die Wirkung tritt noch nicht ein, vielleicht auch, weil die falsche Person gemeint ist, die mit dem Tod ausgestattet werden soll.

Doch dann erledigt sich alles wie von selbst und führt zu einem poetisch aufwühlenden Vermächtnis:

Unter der Sonnenblume / die am Fenster klebt – / Fliegenleichname (208)

Joachim Gunter Hammer setzt mit seinen Texten abrupt ein und verzichtet auf jedes Vorspiel. Die Sätze knallen aus dem Papier wie 17- und 19-Silber. Der Leser ist mit jeder Zeile mitten im Thema, was zur Folge hat, dass er völlig ohne Umschweife von poetischen Fakts getroffen wird.

Joachim Gunter Hammer, Quantenschäume. Gedichte. 17- und 19-Silber
Wien: Verlagshaus Hernals 2022, 214 Seiten, 24,90 €, ISBN 978-3-903442-16-0

 

Weiterführende Links:
Verlagshaus Hernals: Joachim Gunter Hammer, Quantenschäume
Wikipedia: Joachim Gunter Hammer

 

Helmuth Schönauer, 16-10-2022

Bibliographie

AutorIn

Joachim Gunter Hammer

Buchtitel

Quantenschäume. Gedichte. 17- und 19-Silber

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Verlagshaus Hernals

Seitenzahl

214

Preis in EUR

24,90

ISBN

978-3-903442-16-0

Kurzbiographie AutorIn

Joachim Gunter Hammer, geb. 1950 in Graz, lebt in Edelstauden.