Xaver Bayer, Aus dem Nebenzimmer

Es ist wie beim berühmten Stein, den man am Wegrand kurz wegdreht, und darunter tummelt sich ein Kosmos von Getier in voller Bewegung.

Xaver Bayer hat den Stein der literarischen Gegenwart kurz umgedreht und darunter wuseln Dutzende Erzählungen, fiktionale Hotspots und Mini-Essays aus den letzten fünfzehn Jahren. Knapp fünfzig Texte lassen sich für den Leser als Geräusche, Gerüchte und Gerüche aus dem Nebenzimmer zusammenfassen. Der Leser steht jeweils im aktuellen Hauptraum seiner Empfindungen und aus dem Nebentrakt tauchen dann plötzlich diese seltsam abgerundeten, beinahe verstümmelten Erzählfragmente auf.

Die Erzählungen und Texteinschübe kommen in unterschiedlichen Intensitäten daher, gleich zu Beginn sind es vielleicht Abstracts für nie gehaltene Vorträge, die sich zu den Themen Avantgarde, Niederungen oder Geschichte äußern. Dann folgt unvermittelt ein Statement über „Posen“, worin Szenen ausgemalt sind, die den Helden in eine gute Ausgangsposition für ein lebensnahes Abenteuer bringen.

Ich möchte das Flugzeug verpassen, das dann abstürzt. (24)

An anderer Stelle versucht ein Ich mit der Atomisierung der Wahrnehmung zurechtzukommen. Nach einer Beziehung mit Dora ist offensichtlich nichts mehr kompatibel, die Beziehung ist an Unkonzentriertheit und ständiger Abschweifung gescheitert, in Wirklichkeit haben sich die Bewusstseinsteilchen verselbständigt und fügen sich in kein Puzzle von einer großen Sache mehr zusammen.

Aus einer allgemeinen Unkonzentriertheit gegenüber dem Leben kann auch pure Angst resultieren. Ein Held ist zu später Stunde in einem Bordell in einen ungeschützten Geschlechtsverkehr hineingeflutscht, jetzt sitzt er beim Facharzt und wartet auf das HIV-Ergebnis. Die Wahrnehmung ist überreizt und schlecht kalibriert, alles ist eine Andeutung in die eine oder andere Richtung. Als der Arzt schließlich lachend mit seinem Befund kommt, kann das alles bedeuten.

Und diese Nacht war keine Nacht sondern ein dunkler Tag. (42)

So endet eine scheinbar einfache Geschichte, die über den Beginn nicht hinauskommt.

Zwischendurch gibt es einen Katalog der Gedanken und Bewegungen, worin sich das Ich und der Autor säuberlich aufspalten. Was ist notwendig für das Schreiben, gibt es eine Jungfrau für Xaver Bayer, warum unterlaufen einem ständig Wohnungsfehler, wenn die Symmetrie Ordnung suggeriert, heißt das noch lange nicht, dass Asymmetrie Unordnung bedeutet.

Beinahe unheimlich romantisch sind Orte, die von den Kindern schon nach kurzen Spielzügen wieder verlassen werden, für den Helden ergibt sich daraus für diesen Sommer eine unbändige Lust, betrunken zwischen die Nussbäume zu fallen.
Oberflächlich betrachtet sind Gesichter und Kleidungen bloß Zitate, die meist in einem falschen Zusammenhang zur Schau getragen werden.

Die Texte aus dem Nebenzimmer sind oft nicht eindeutig zuordenbar, wie oft Musik oder Gesprächsfetzen durch die Hausanlage schwirren, ohne dass man sich die entsprechende Wohnung dazu vorstellen kann. Dieses Anschleichen der Texte, diese unerwarteten Angebote, daraus etwas ganz anderes zu machen, das macht die Erzählweise Xaver Bayers so einmalig.

Xaver Bayer, Aus dem Nebenzimmer.
Wien: Edition Korrespondenzen 2014. 212 Seiten. EUR 21,-. ISBN 978-3-902951-07-6.

 

Weiterführende Links:
Edition Korrespondenzen: Xaver Bayer, Aus dem Nebenzimmer
Wikipedia: Xaver Bayer

 

Helmuth Schönauer, 14-10-2014

Bibliographie

AutorIn

Xaver Bayer

Buchtitel

Aus dem Nebenzimmer

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Korrespondenzen

Seitenzahl

212

Preis in EUR

21,00

ISBN

978-3-902951-07-6