Elke Steiner, Die Frau im Atelier

elke steiner, die frau im atelierKünstler müssen nicht unbedingt ein Werk abliefern, um zumindest für die Steuer als solche gewürdigt zu werden. Ohne ihr Zutun entwickeln sie sich manchmal zu Inszenierungs-, Konzept- oder Hungerkünstlern.

Elke Steiner zeigt in ihrem Künstler-Roman „Die Frau im Atelier“ einen etwas von der Welt abgekapselten Maler, der zudem alles auf die lange Bank schiebt. Als Fachausdruck bietet sich der Ausdruck Verdrängungskünstler an, oder, wie im Roman direkt angesprochen, Prokrastinations-Maler.

Marius ist zumindest nach Eigendefinition ein Maler, auch wenn er nichts zusammenbringt. Ein befreundeter Galerist schaut manchmal vorbei und gibt sich interessiert und geschäftig, um dem Helden etwas Halt zu verleihen. Dessen Fluch zieht sich schon seit Jahren durch sein Leben:

Du bist nicht, was du scheinst. (138)

Den Satz hat er einst auf sein Dauerbild bezogen, an dem er schon seit Jahren malt. Eine gewisse Adele soll verwirklicht werden, aber der Künstler kommt nie über den Grundton hinaus. Dieser soll nämlich aus Dunkelgold bestehen, einer Farbkomposition, für die es täglich frische Eier braucht zum Hineinmischen. Weder Bild noch Hintergrund und schon gar nicht die Biographie sind das, was sie auf den ersten Blick scheinen.

Dabei spielt sich das Leben des Malers auf kleinstem Raum ab. Vom Atelier geht es regelmäßig zur russischen Bar im Erdgeschoss, wo es Essen, Trinken und die nötigsten Gespräche gibt, die man braucht, um sich allmählich einzutrinken für den Tag. Manchmal bringt der Wirt eine seiner „Cousinen“ ins Spiel, die dann ins Atelier mitgehen und die nötigsten Handgriffe zur sexuellen Entspannung verrichten. Man spricht wohl von Feinpinselarbeit.

Das Künstler-Outfit wird geprägt durch eine Mütze, die Marius nur zu Hause kurz abnimmt, um zu tasten, dass ihm ein Ohr fehlt. Von Kindheit an leidet er unter diesem Handicap, dass er statt des Ohres ein Gewächs mit sich herumtragen muss. Die Bedeckung soll auch hier den Schein wahren, dass alles am Kopf in Ordnung ist.

Das größte Problem freilich stellt die Zeit dar. Aus einem kindlichen Trauma heraus bedrückt ihn die Angst, er könnte den Tag verschlafen, weshalb er sich mehrere Wecker stellt. Aber die Weckrufe helfen nicht gegen das Hinausschieben des Tagwerks, morgen ist der richtige Zeitpunkt, (32) heißt es jeden Tag. Manchmal ist ein Ei noch nicht fertig, um die Grundierung aufzutragen, ein andermal kommt in Ber bar etwas dazwischen, was den Beginn des Mal-Aktes hinausschiebt.

Und dann sitzt eines Tages Colette mit einem Rollkoffer in der Bar, sie verändert gerade ihr Leben und ist beim Wort Atelier sofort Feuer und Flamme. Sie ist die erste Frau, die mit dem Helden richtig spricht, und vor allem, sie ist schon fertig. Sie hat Gesicht, Körper und Stil, während die Adele auf der Leinwand nicht einmal einen Hintergrund hat.

Bald entwickeln sich die Alltagsgespräche zu einem Fachdiskurs auf unterhaltsamem Niveau. „Bei Zielen stellt man sich eher etwas in der Zukunft vor, aber meine Ziele liegen in der Vergangenheit. Du musst dir die Zeit nur wie ein Ei vorstellen, die Vergangenheit ist das Eiweiß, das Jetzt ist der Dotter. Ich muss beide vermischen und malen!“ (55)

Colette hilft in der Folge beim Vermischen des Zeit-Eis. Die Kindheit muss freigelegt und mit der Gegenwart verquirlt werden.

Sachte kommt jene Szene zum Vorschein, die Marius bislang so zu schaffen gemacht hat. Die Mutter ist eingeschlafen und lässt sich nicht mehr wecken. Sie hat irgendeine Überdosis genommen. Das Kind weckt und weckt ein Leben lang, aber die Mutter steht nicht mehr auf.

Das nicht erreichbare Dunkelgold ist wohl die Kindheit, die sich nicht einmal als Pigmentmischung beschreiben lässt. Und das Gesicht auf der Leinwand wird ewig unsichtbar bleiben.

Als Marius beim nächsten Malversuch auf Colette schaut, statt ins Unbewusste seiner Kindheit, geht der Roman plötzlich auf wie eine gut gestanzte Liebesgeschichte. Die nächsten Bilder werden in einer realistischen Welt entstehen, man muss nicht einmal die Namen der Orte wissen, wo sie geschaut werden.

Elke Steiner demontiert den Künstlermythos, der gerade in der Halbwelt der Amateure viel herumgetragen wird und sich in Ateliers und Galerien absetzt wie ein resistenter Virus. Fast alles, was wir künstlerischen Habitus nennen, ist letztlich ein kleiner „Deggen“, der aus der Kindheit stammt. Das Leben eines Künstlers spielt sich meist auf engstem Raum ab, die Weite entsteht durch Alkohol und weitgefasste Gespräche. Die Liebe kommt dann wie ein Bild, das man nicht malen muss. – Eine ziemlich ernüchternde Kunstkritik.

Elke Steiner, Die Frau im Atelier. Roman
Graz: Edition Keiper 2021, 174 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903322-39-4

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Elke Steiner, Die Frau im Atelier
Homepage: Elke Steiner

 

Helmuth Schönauer, 25-01-2022

Bibliographie

AutorIn

Elke Steiner

Buchtitel

Die Frau im Atelier

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Edition Keiper

Seitenzahl

174

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-903322-39-4

Kurzbiographie AutorIn

Elke Steiner, geb. 1969, lebt in Wien und im Burgenland.