Irene Wondratsch, Fata Morgana

irene wondratsch, fata morganaEin recht seltenes Schreibziel liegt darin, von vorneherein gescheiterte Literatur zu verfassen und die Geschichten in Sackgassen zu jagen, worin sie der Leser aufwändig aufspüren soll.

In vier Erzählversuchen baut Irene Wondratsch an einer fiktionalen Blase herum, die aus der Entfernung als wabernder Stoff einer Fata Morgana durchs Buch schimmert. Die unklaren Verhältnisse können auf die schwachen Augen der Lesenden zurückzuführen sein, es kann sich aber auch um Textkompositionen handeln, die von vorneherein keine Trennung zwischen klaren Linien, Personen und ihren Sätzen machen. „Traum und Fehlen jeglicher Nachricht“ (77) wird jener Zustand genannt, in dem die Helden vor den Augen der Schreibenden zusammenbrechen.

Die vier Erzählungen suchen typische „Morgana-Flächen“ auf, worin sich Helden zweideutig bewegen, zuerst von einem auktorialen Erzählstil in alle Ecken des Genres geschickt und später nach dem Zufallsprinzip in groteske Situationen verstrickt werden. Die Kulissen für diese verspielten Storys liefern die ägyptische Wüste, die Arktis rund um Grönland, der Märchenwald mit Förster und Reh sowie ein zwielichtiges Kartenspiel als Auskunftsdatei für die Zukunft.

In „Fata Morgana“ (9) entwickelt sich die Geschichte aus einem Lehnstuhl heraus, die darin hängende Person ist in Trance versetzt oder beim Lesen eingeschlafen. In einem kleinen Beziehungskammerstück geht eine Autorin ihren literarischen Geschäften nach, reist ihren eigenen Lesungen voraus und landet in der Recherche-Wüste, die sich als aufgepopptes Prospekt rund um Abu Simbel herausstellt. Während die Autorin keine Probleme damit hat, sowohl als einbandagierte Mumie die Nacht zu verbringen als auch einen mehrdeutigen Aufzug von Traum, Westbahn, Lesen und Zauber unter dem Codewort „Ata organa“ (12) abzuwickeln, kriegt ihr Partner so gut wie nichts mit und hält sich an dem Staubsauger fest, mit dem er das Haus Tag und Nacht durchpflügt auf der Suche nach Reinheit und Ordnung. Nicht nur die Schreiberin ist zur Metamorphose bereit, auch zwei Gummienten finden es in Ordnung, dass ihnen tragende Rollen in einem Stück zugewiesen werden. Die Geschichte endet in Idylle, freilich ist dieser nicht zu trauen, denn in der Ferne zieht eine Karawane vorbei, als ob man zu lange aus dem Fenster geschaut hätte.

„Arktis“ (37) setzt mit einer Spontanbegegnung vor dem Büro ein, das zumindest wegen der Adresse „Wipplingerstraße“ ein Ableger eines Ministeriums sein könnte. Die Schriftstellerin Xenia trifft auf einen wunderschönen Hund, der von einem Mann gehalten wird, welcher sich spontan als Polarforscher vorstellt, indem er seine Visitenkarte zückt. Als Xenia auch ihre Karte gezogen und überreicht hat, macht ein nasses Geräusch die Runde und jemand vermutet, dass sich der Direktor soeben aus dem Büro auf den Gehsteig gestürzt habe. Grund gibt es ja genug, denn seine Tochter ist während eines Forschungsprojekts auf Grönland wegen der Kälte vom Projektleiter geschwängert worden. Später stellt sich heraus, dass der Direktor geblufft hat, er hat sich bloß mit seinem Schmerz in ein anderes Zimmer verzogen.

Während Xenia diesen Sachverhalt über sich ergehen lässt wie ein Puppenspiel aus der Kindheit, wird der Text plötzlich kursiv und verströmt arktische Kälte. Jetzt ist jäh ein Liebhaber verschollen, der bislang noch nicht in Erscheinung getreten ist, es kommt zum entscheidenden „Traum und Fehlen jeglicher Nachricht“. Um der Geschichte letztlich ein Fundament zu geben, sind als Fußnoten zwei Stellen aus Arktisbüchern angeführt. Allein dieses Zitieren von Quellen lässt das Erzählte schlagartig als glaubwürdig erscheinen.

In der Geschichte von „Aron und Nora“ (85) hat die Erzählerin einen spielerischen Betriebsunfall. Auf der Suche nach einem Anagramm sind plötzlich die beiden Figuren aufgetaucht und wollen sich nicht mehr verändern lassen.

Wie schnell man doch mit seinen erfundenen Figuren lebt! (87)

Die Geschichte spielt schlagartig in einem Forsthaus, in dem das Spiel „Fuchs und Henne“ ausgelegt ist. Im Hintergrund stellt ein Jäger seinem Reh nach und die Erzählerin quält die Frage, was einen normalen Menschen wohl zu einem Jäger macht. Liegt eine Störung aus der Kindheit vor?

In der Folge kommt es zu germanistischen Anspielungen auf das Erzählte. Lässt sich die deutsche Romantik abtun mit einem Satz? „Sie fanden den Weg nicht zurück, streiften durch den Wald.“ (97) Und darf man in Anspielung an den großen Franz Kafka den Roman mit einer Nachäffung beginnen? „Mary K. geht auf schönen Beinen durchs Leben, ehe ihr von der Straßenbahn ein Unterschenkel abgefahren wird.“ (115) Aber auch das ist ja ein Zitat. Es gibt Vorgänge beim Schreiben, da taumelt man von einem Zitat ins nächste. Die Erzählerin wird sich eine Strafe für den Jäger ausdenken.

Der Schriftsteller Ignaz zieht in der Erzählung „Tarot“ (127) Karten und erwartet sich einen Plot. Er stößt auf die „Königin der Stäbe“ (131) und kriegt dabei einen Steifen, was die Frage aufwirft, ob die Autoren gut mit ihren Heldinnen schlafen. (131) Diese intime Schreiberei wird von der Partnerin Yvonne in Frage gestellt, sie ist Deutschlehrerin und leidet darunter, dass sie alles korrigieren muss, was jemand sagt oder schreibt.

Irene Wondratsch erzählt an der Bruchstelle zwischen Autor und Figur, dabei kann der Leser wetten, wer wohl gewinnen wird. Dieser Schöpfungsakt löst verlässlich Krisen aus, denn die Figuren machen selten das, wofür sie konzipiert sind. Selbst der Autor ist ständig in Gefahr, die unmittelbare Realität auszublenden. Und wenn es mit der Schreiberei einmal gutgehen sollte, wartet draußen am Textrand die Beziehungskiste und macht sich breit wie eine Falle.

Die Antworten auf diese Schreibprobleme sind erstaunlich heiter und undogmatisch. Die Literatur kann auch ins Leichte einer Fata Morgana gehen, wenn man sie freilässt.

Irene Wondratsch, Fata Morgana. Erzählungen
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2021, 163 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-61-2

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Irene Wondratsch, Fata Morgana
Wikipedia: Irene Wondratsch

 

Helmuth Schönauer, 01-12-2021

Bibliographie

AutorIn

Irene Wondratsch

Buchtitel

Fata Morgana

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

163

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-903125-61-2

Kurzbiographie AutorIn

Irene Wondratsch, geb. 1948 in St. Pölten, lebt in Wien.