Bettina Balàka, Kaiser, Krieger, Heldinnen

Bettina balaka, kaiser, krieger heldinnenIm Essay werden zeitlose Themen anhand von aktuellen Ereignissen mit offenem Ausgang diskutiert. Der Essay bietet jeweils Publikum und Autorinnen die Chance, aufs Neue einen Sachverhalt zu diskutieren. Fügt man schließlich mehrere upgedatete Essays zusammen, ergibt sich beinahe ein Roman daraus.

Bettina Balàka hat für ihre Exkursionen „Kaiser, Krieger, Heldinnen“ sechs frühere Arbeiten auffrisiert und zu einem historischen Lesebuch zusammengestellt, das gut zur Hundertjahrfeier Ende des Ersten Weltkriegs passt. Im Mittelpunkt stehen immer Heldinnen, die freilich auf offener Bühne von der jeweiligen Gesellschaft ins Abseits gedrängt werden.

Der Eingangsessay beginnt mit einer peinlichen Szene. Ein Bus streikt und die Passagiere werden unruhig. Das Ganze droht zu eskalieren, als sich herausstellt, dass eine Frau am Lenkrad sitzt. Die mühsam unterdrückten Vorurteile brechen wieder auf. Selbst als Leser ist man peinlich berührt, dass die Passagiere verbal über die Lenkerin herfallen, obwohl sie alles richtig macht.

Dieses kleine Busbeispiel zeigt, dass wir die Heldenrolle meist aus einer gesicherten Ruheposition heraus vergeben. In der Krise aber sind plötzlich ganz andere Helden gefragt als während der Keks-Übergabe. Mit Kriegsende werden immer die Rollen getauscht. Nachdem die Männer tot, verletzt oder wahnsinnig geworden sind, müssen die Frauen das Überleben des Restes in die Hand nehmen.

Die Autorin stellt diverse Berufe vor, in welche die Frauen nur langsam einrücken durften, weil offensichtlich der entsprechende Krieg dafür gefehlt hat. Die Studentinnen an der Uni, die Politessen auf der Straße, die Schaffnerinnen in den Straßenbahnen, alle sind wie für einen Krieg eingerückt. Und über allem schwebt das Diktum eines Lipizzaner-Dompteurs, der auf die Frage, warum es in der Aufführung keine Stuten gebe, antwortet, „die machen nur Unruhe!“

„The Blitz Experience“ zeigt eine Schützengraben-Anlage im Museum. Im Sinne authentischer Erfahrung kann man Krieg mit-spielen und sich in einen Schützengraben mitten im Londoner War-Museum legen. Die Autorin ist verstört und überträgt die Szenerie auf Wien, wo es (noch?) unmöglich wäre, den Krieg im Museum nachzuspielen, auch wenn man heutzutage für die Kids in der Museumspädagogik bereits Hinrichtungen nachspielt. Die Londoner Verstörung erklärt sich die Besucherin mit der jeweils Kultur-autarken Art, wie der Krieg in den diversen Kulturen vermittelt wird. Außerdem spielt es eine Rolle, wer den Krieg ausgelöst hat. Da Österreich „augenzwinkernd“ zwei Weltkriege ausgelöst hat, lässt sich auch die daraus resultierende Brutalität nicht im Museum zeigen.

„Weshalb ich keinen Hofknicks kann“ erklärt die Habsburgermonarchie aus der Sicht ihrer Fans. Nach dieser These wird das Habsburgerreich zweimal gegründet, einmal in der Geschichte und einmal von Claudio Magris als Mythos. Mittlerweile weiß niemand mehr, was scheinbar echt und was eine wohlmeinende Erfindung ist, wenn es um den Kaiser-Rausch und dessen Bart geht.

„Trauertücher, Truhentrachten“ ist ein typischer Museums-Titel. In diesem Falle werden in Cottbus alte Stoffsachen ausgestellt, die eine eigene Literatur der Beschriftung nach sich ziehen. So wird jemand als letzte Trachtenträgerin bezeichnet, dann aber stirbt beides, die Trägerin und die Tracht. Unklar ist, ob es gleichzeitig geschehen ist. Anhand von Auswahl der Objekte, Pflege, Beschriftung und Katalog ergibt sich schließlich eine eigene Geschichte, die nur bedingt digitalisiert und als Filmchen angeboten werden kann.

Die Essays tasten sich an einem imaginären Museumsfaden an den Ersten Weltkrieg heran. Wenn man diesen Faden findet, kommt man automatisch zu einem authentischen Bild über Kaiser, Krieger und Heldinnen.

Aus diesem Exkursionen kann man handfest zweierlei lernen: Die einzelnen Essays sind immer nur so gut wie ihr letztes Update. Bei einem heißen Fall muss man seine Essays jeden Tag neu aufladen und abstimmen. Zweitens: Willst du das Offizielle sehen, musst du ins Museum und dort in den Shop. Nirgendwo ist die wahre Absicht der Geschichtsschreibung besser abzulesen als in einem Museumsshop, wo du infantilisiert und kindergerecht alles kriegst, was du als Mitbringsel tragen kannst. Die Geschichte wird dann zum Mitbringsel aus einer fernen Zeit in einem fernen Land und ist ein wichtiger Hotspot für den Tourismus.

Bettina Balàka, Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursion in die Gegenwart der Vergangenheit
Innsbruck: Haymon Verlag 2018, 191 Seiten, 21,90 €, ISBN 978-3-7099-3424-1

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Bettina Balàka, Kaiser, Krieger, Heldinnen
Wikipedia: Bettina Balàka

 

Helmuth Schönauer, 29-06-2018

Bibliographie

AutorIn

Bettina Balàka

Buchtitel

Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursion in die Gegenwart der Vergangenheit

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

191

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-7099-3424-1

Kurzbiographie AutorIn

Bettina Balàka, geb. 1966 in Salzburg, lebt in Wien.