Sebastian Vogt, Zwei Brüder

sebastian vogt, zwei brüderIn fast allen Genres sind Brüder-Paare ein ideales Experimentier-Feld, um zu untersuchen, was genetisch, soziologisch und psychologisch ablaufen muss, dass sich der eine in diese und der andere in jene Richtung entwickelt.

Gerade in der bürgerlichen Literatur zeigen Brüder immer, wie knapp das Gute und das Böse beisammen liegen. Und seit den Brüdern Heinrich und Thomas Mann haben wir es schwarz auf weiß, dass die wahre Literatur über allen politischen Gegebenheiten steht, gute Literatur ist einfach gut und sonst nichts.

Sebastian Vogt arbeitet an zwei Brüdern die politische Stimmung rund um den Ersten Weltkrieg auf, wohl wissend, dass jeder noch so kleine Satz ein literarisches Zitat sein kann. Aber gerade dieses Arrangement des Stoffes lässt einer gewissen Bildungsabsicht einen großen Spielraum, jeder belesene Leser kann mit seinem Wissen an den Schicksalen andocken und sie als Regisseur einer ungewöhnlichen Familienaufstellung nützen.

Die Erzählung läuft Stereo auf zwei Kanälen, August nimmt früh von der bürgerlichen Villa in Hamburg Reißaus und wird Anarchist und Sozialjournalist, Oskar durchläuft die bürgerliche Karriere und beginnt in Wien eine verschmuste Schriftstellerkarriere im Umfeld von Höflingen. Die Mutter Toni hat vor allem Liebhaber im Kopf und auf dem Schoß und ist froh, als sie das Kapitel Söhne abschließen und wieder nach Buenos Aires zurückgehen kann.

Auf dem August-Track erleben wir eine tiefe Liebesgeschichte zu einer russischen Kunsthändlerin, die den Revolutionär Kropotkin im sozialistischen Europa vermarktet. August wird anerkannter Reporter, im Ersten Weltkrieg geht allerdings alles verloren, als Unterschenkelamputierter „läuft“ er am Rande der Gesellschaft durch Berlin.

Auf der Oskar-Spur dürfen wir der Karriere eines Weltschriftstellers beiwohnen, seit er eine deutsche Familie mustergültig bürgerlich beschrieben hat, wird er von einer literarischen Liebkosung zur nächsten gereicht. Privat freilich muss er seiner Tante zu Diensten stehen, die ihren Sohn aus der Psychiatrie befreien möchte. Dieses psychisch angeschlagene Peterle hat die Aufgabe, alle nachzuäffen, so äfft er auch den Weltschriftsteller nach, freilich ohne großen Erfolg.

Nach dem Krieg klappern die Brüder zeitversetzt verschiedene Orte ab, freilich mit jeweils anderer Relevanz. Während August etwa in München die Räte-Republik auf die Beine zu stellen versucht, wird etwas später Oskar mit der frühen Hitlerei konfrontiert.

Am Schluss sind dann alle in Buenos Aires und gehen ins Theater, wo sie die Geschehnisse auf der Bühne kaum von jenen in der sogenannten Realität auseinanderhalten können.

Sebastian Vogt erzählt mit dem Duktus von Krieg und Frieden die Geschichte Deutschlands anhand von Schwarzweiß-Brüdern. Dieses Verhältnis von großem Stil und straffer Erzählform schafft jede Menge Ironie, die oft durch Weltliteratur unterlegt ist. So reden die Helden im Überlebenskampf kaum von Kartoffeln, sondern von Dostojewski oder Kropotkin, der wie ein Popstar der Anarchie gehandelt wird. Der Sex wird nicht lange als moralisches Gespenst gehandhabt, sondern Tante und Weltschriftsteller steigen in die Kiste, während die Tante lacht, du wirst dich wohl nicht genieren. Die Figuren nehmen die jeweiligen Parolen wörtlich, indem sie alles wie nach einem Roman inszenieren.

Als Leser ist man von diesem Geschichtsunterricht bestens unterhalten, man hilft zu allen Helden ausgewogen, weil es zwar Gut und Böse gibt, die Erzählung an sich aber alles zum Besten dreht, was es zu erzählen gibt. - Ein makelloses Kunstwerk historischen Erzählens.

Sebastian Vogt, Zwei Brüder. Eine Erzählung
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2018, 182 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-23-0

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Sebastian Vogt, Zwei Brüder
Literaturhaus: Sebastian Vogt

 

Helmuth Schönauer, 07-04-2018

Bibliographie

AutorIn

Sebastian Vogt

Buchtitel

Zwei Brüder

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

182

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-903125-23-0

Kurzbiographie AutorIn

Sebastian Vogt, geb. 1969 in Wien, lebt in Wien.