Gundi Feyrer, Der Tempel des Nichts

gundi feyrer, der tempel des nichtsWenn Materie nicht aus Materie besteht, wie in Physikerkreisen formuliert wird, dann könnte vielleicht Dichtung Materie sein?

Gundi Feyrer geht mit ihrem Roman „Der Tempel des Nichts“ an die Anfänge der Existenz, des Weltalls und des Bewusstseins zurück. In der einen Lesart ist die Welt aus dem Urknall entstanden, in einer anderen Sichtweise hat sich das Nichts so lange selbst angestarrt, bis daraus ein Spiegelbild geworden ist, in einer religiösen Fassung ist die Welt gar aus Worten gemacht. Hinter all diesen Thesen steckt nicht nur eine elegante Verführung zur Entfaltung von Sinn, sondern vermutlich beinharte Zauberei. Deshalb trägt der Roman in Klammern den Untertitel das Zaubern.

Wenn ein Plot keinen Anfang und kein Ende hat, dann lässt er sich in der Methode chronologischen Auffädelns von Wörtern nur schwer darstellen. Aus diesem Grund ist im Roman oft alles Gleichzeitigkeit, die aber an keinen bestimmten Zeitpunkt geknüpft ist.

Am ehesten lässt sich dieses Ungetüm an Nichtvorhandensein mit einer halbwegs stabilen Hülle darstellen, wie es etwa dem Wesen eines Tempels entspricht. Dieser ist ja auch bloß das Containment für eine Gottheit, einen Zustand oder eben das Nichts.

In der Tradition klassischen Erzählens muss man bei dieser Themenstellung scheitern, es sei denn, man wählt die Form des Layout-Romans. Damit ist gemeint, dass alles gleichzeitig vor dem Leser ausgebreitet (layoutet) ist. Selbst das Umblättern muss man sich wegdenken, im besten Fall blickt man durch das Papier hindurch auf einen Materialblock voller Textsorten.

Dabei kommen Zitate, Fragmente, „Geschichten“, physikalische Arrangements und philosophische Behauptungssätze gleichrangig zum Vorschein. Die Thesen der Physiker Hans-Peter Dürr, Werner Heisenberg und Anton Zeilinger sind verdichtet zu poetischen Quanten oder textuellen schwarzen Löchern.

Die oberste Aufgabe des Lesers ist es, Ruhe zu bewahren, eins nach dem anderen zu lesen, die Textstränge ins Leere laufen lassen, Querverbindungen zurückzuverfolgen.

In einer Art Vorwort ist ein Programm dargelegt, das zwar nicht weiterhilft, aber eine erste Einschätzung des Projekts ermöglicht.

Das Nichts ist der Mantel, der das Alles einhüllt.

Am besten liest sich das alles aus einem runden Kopf heraus, sodass es sich wie der Kugelkopf einer alten Schreibmaschine in alle Richtungen wirken und dabei rezipieren lässt.

Das Verhältnis Materie / Nichts ist als Verhältnis Wörter / weißer Platz dargestellt, aus aufgerissenen Zeilen und Blockgebilden wuchern Löcher aus dem Text. Und was die Chronologie betrifft, so ist es durchaus möglich, dass beim Zählen eine niedrigere Zahl eine höhere überholt.

Während die Fakten wie physikalische Grundgesetze formuliert sind, etwa „die Sonne hat alle Tage in sich“ (17) oder „Raum und Licht sind keine Dinge“ (37), plagt sich eine ordnende Hand, aus den Materialien ein Buch zu gestalten. Dabei gleicht das Buch einer Wäscheleine, die vor dem Einsetzen des Gewitters schnell zusammengerollt und ins Hausinnere getragen wird, um sie angetrocknet zu halten.

Ein tragendes Element ist im Sinne des Roman nouveau die Geschichte vom Halbdunkel. Dabei wird aus halbem Dunkel heraus ein Stillleben mit Lichtkegel inszeniert. Die Welt gleicht jetzt einer physikalischen Versuchsanordnung und die Ergebnisse sind physikalische Rohdaten in Gedichtform.

Diese Vorgänge werden dann stracks in die Umrisse eines Protokolls gesteckt, welches in Verbindung mit ähnlichen Protokollparzellen zu einem Romanstrang führt.

„Zusammenfassung von ‚Genau und gut‘ aus halbem Dunkel heraus gesehen. // Staubiges Sonnenlicht durchquert eine nervöse Wasserblase, springt so erhitzt, auf 12 verschwommen schaukelnde Hausdächer und 6 Antennen, umtanzt sie 2 mal in der meterlangen Hälfte einer Zeitung und faltet sie mit dem vorbeifliegenden Kopf eines neugierigen Nachbarn Stück für Stück und in überhitztem Schritt auf, schwimmt eine Zeitlang kurz und wie eine Fliege in der Zeitung herum, zerschneidet sie anschließend […]“ (18)

Was an der Oberfläche wie ein Blick aus einem Fenster über die nähere Umgebung angelegt ist, wird zu einem unsteuerbaren Drama, wenn man die Szenerie bloß als Versuchsanordnung der Botschaften und Nachrichten deutet. Die Zeitung ist vorläufig noch als bloßer Datenträger aus Papier konzipiert, aber die Nachrichten werden durch das Falten und Zerreißen zu neuen Nachrichten, die Antennen sind vorläufig Auswuchtungen gegen die Hitze auf den Hausdächern, aber wenn sie senden oder empfangen, entsteht eine andere Hitze, nämlich die von Botschaften.

Damit sich das Auge nicht vollends verliert im Dickicht der Gleichzeitigkeit, sind ab und zu „Sehhilfen“ eingestreut. Markant ist etwa ein Textlineal, das von oben nach unten in die Seite geklebt ist und Auskunft über die Flexibilität von Längen geben soll. (39)

Um das Verrückte dieser Zeremonie um den Tempel des Nichts in Grundrissen anzudeuten, setzt sich das lesende oder schreibende Ich waghalsige Ziele. „Ich lerne einen ganzen Tag auswendig.“ (61) Diese absolute Erschaffung, Restaurierung und Dokumentation eines einzelnen Tages kann nur mit Zaubern bewältigt werden. Man erinnere sich, die Sonne hat alle Tage in sich.

Und davon handelt Gundi Feyrers Herausforderung der Leserschaft.

Gundi Feyrer, Der Tempel des Nichts. (Das Zaubern)
Klagenfurt: Ritter Verlag 2020, 87 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-85415-613-0

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Gundi Feyrer, Der Tempel des Nichts
Wikipedia: Gundi Feyrer

 

Helmuth Schönauer, 25-05-2021

Bibliographie

AutorIn

Gundi Feyrer

Buchtitel

Der Tempel des Nichts. (Das Zaubern)

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2020

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

87

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-85415-613-0

Kurzbiographie AutorIn

Gundi Feyrer, geb. 1956 in Heilbronn, lebt in Wien und Köln.