Jörg Piringer, datenpoesie

jörg piringer, datenpoesieHinter dem unscheinbaren Begriff „Datenpoesie“ tut sich eine literarische Revolution auf. Hier schreibt nicht mehr ein Autor Gedichte oder poetische Texte, sondern die Programme, einmal in Bewegung gesetzt, spulen ihr poetischen Akzente ab. Logischerweise dürfte diesem Unterfangen nicht ein lebender Leser in die Quere kommen, sondern ein kluger Leser müsste dieser Poesie sein eigenes Leseprogramm entgegenhalten, sodass sich zwei Künstliche Intelligenzen gegenseitig auslesen und in Schach halten könnten.

Jörg Piringer verweist trocken auf den Forschungsstand der Datenpoesie. Zwar ist allerhand disparat aufgestelltes Material herum, aber nur wenige haben bisher die diversen Programme, poetischen Algorithmen und Dichtungsströme Künstlicher Intelligenz zusammengefasst. Der Autor tut dies in der guten alten Form eines Lexikons, das Profis und Neulingen mit Anfangsverdacht beste Auskunft gibt.

Der Autor verknüpft in verschiedenen Arbeitsschritten und unter Bedingungen der Meta-Kommunikation die sogenannte Poesie mit Programmen. „Statt der Fütterung von Textverarbeitungsprogrammen mit Worten und Zeilen verbrachte ich meine Zeit mit der Erstellung von Programmen, der Suche nach geeigneten Daten, der Aufbereitung derselben, dem Trainieren künstlicher neuronaler Netze, dem Durchforsten von Textcorpora und dem Finden von Fehlern und Ausbessern von Unzulänglichkeiten in den Programmen.“ (273)

Erst wenn man sich die Arbeitsmethodik Jörg Piringers zu Gemüte führt, merkt man den Unterschied zu sogenannten normalen Autoren, die in der Hauptsache heiße literarische Luft verwalten und im Design eines Verlags zu einem stromlinienförmigen Gebilde zusammenstellen.

Dieses Anpassen auf einen einzigen Literatur-Strom gelingt mit Computerprogrammen schneller, plausibler und makelloser. Etwa neunzig Prozent germanistischer Arbeiten dürften mit einem Datenpoesie-Programm in einer Woche zu bewältigen sein, was jedes Studium unermesslich verkürzen würde.

Am Beispiel von Matthias Claudius Gedicht „Das Abendlied“ werden verschiedene Operationen durchgeführt, unter anderem Übersetzungen mit Maschine in alle möglichen Sprachen. Spontan tut sich eine Assoziation auf, ob Claudius nicht eine Ur-Cloud aus Vorzeiten ist.

An anderen Stellen werden Verse graphisch verdichtet oder aufgelöst, so dass Landkarten-artige Bedeutungsgebilde entstehen, weitläufig verwandt mit dem gängigen Wordle-Prinzip. Eine sogenannte natürliche Sprache zerfällt vor den Augen des Lesers in Zufallssprüche. Diverse Genres werden aufgebrochen und zur Explosion gebracht, so gibt es etwas ein Märchen für die Zukunft, das aus futuristischen Segmenten zusammengesetzt ist.

Im sogenannten Paratext stellt der Autor die Arbeitsmethode vor, erklärt die eingesetzten Programme und deren Logik, und alles mündet schließlich in einem Glossar, mit dem der schlichte Leser am besten anfangen sollte.

Im Glossar ist nämlich alles erklärt, was so durch das Netz und über die Clouds vermittelt wird. Die wichtigsten Programmiersprachen sind genauso angeführt wie eine simple Definition, was ein Algorithmus ist.

Als Leser staunt man, was da alles in Sekundenschnelle möglich ist, wenn man das richtige Programm gefunden hat. Wahrscheinlich wird man einen Großteil der Textsorten mit Leseprogrammen besser abarbeiten können als mit Augenarbeit an den einzelnen Zeilen. Für das analoge Schreiben spricht freilich immer noch die Entschleunigungskraft von Romanen oder die emotionale Einfärbung von Gedichten.

Für den Allgemeinbedarf von Menschen, die Preisträger-Literatur lesen oder sich für die Zentral-Matura vorbereiten, ist ein kluges Leseprogramm allemal befriedigender als das Herumfuhrwerken an Texten, die letztlich nur Teil eines gigantischen Geschäftsmodells sind. Jörg Piringers Lexikon der „Datenpoesie“ ist ein faszinierendes literarisches Werk, das völlig neue Lese-Felder erschließt. Als Leser antwortet man ihm sofort mit einem Gegenprogramm, automatisiertes Rezensieren beispielsweise, das schon ziemlich verbreitet ist, wenn man die Gleichförmigkeit diverser Rezensenten anschaut.

Jörg Piringer, datenpoesie. Abbildungen
Klagenfurt: Ritter Verlag 2018, 287 Seiten, 18,90 €, ISBN 978-3-85415-583-6

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Jörg Piringer, datenpoesie
Wikipedia: Jörg Piringer

 

Helmuth Schönauer, 22-11-2018

Bibliographie

AutorIn

Jörg Piringer

Buchtitel

datenpoesie

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Ritter Verlag

Seitenzahl

287

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-85415-583-6

Kurzbiographie AutorIn

Jörg Piringer, geb. 1974, lebt in Wien.