Ned Beauman, Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen ist

ned beauman, Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen istLässt sich das große Amerika besser würdigen, wenn man einen Hollywood-Film mit voller Dramaturgie im Dschungel dreht und dabei einen Maya-Tempel als Kulisse missbraucht, oder ist es gleich besser, diese Pyramide abzutragen und missbräuchlich in New York aufzustellen?

Was auf den ersten Blick wie ein Scheinproblem klingt, ist vielleicht auch eines. Denn in Wirklichkeit geht es darum, ob im amerikanischen System nicht jede Auseinandersetzung in Wahnsinn enden muss, weil niemand die Niederlage versteht.

Ned Beauman nimmt für seinen Wahnsinnsroman, der ohne genaue Ortsangaben und mit vager Zeitfixierung auskommt, drei große US-Mythologien aufs Korn. Einmal ist es Hollywood, das in Wirklichkeit die amerikanische Verfassung ist, zum anderen ist es der US-Kolonialismus, der sich rund um die mittelamerikanischen Hochkulturen breit macht, indem er sie niedermetzelt. Und als drittes Element kommt die CIA ins Spiel, die eine ideale Erzählachse ist. An ihr zerschellt nämlich die Wahrheit, sie erzählt als verdeckte Operation und leugnet im Bedarfsfall, wenn etwas als Gerücht ausbüchsen sollte.

Es ist klug, wenn man als Leser dem Roman diese höhere politische Botschaft überstülpt, denn mit den klassischen Denksensoren Logik, Geschichte und Fiktion käme man nicht weit, zu verfilzt ist alles. Immerhin spielen große Teile ja im Dschungel.

Mit Geduld und mit Sinn-Willen lässt sich aus dem Romanfilz dann aber doch Erstaunliches und Verrücktes herauskämmen. Der Roman ist umarmt von den Schreibbewegungen eines CIA-Agenten, der teils seine Memoiren schreibt, teils ein Geständnis ins Auge fasst, teils aber auch mit einem Drehbuch herumtüftelt, wie man die ganze Chose doch noch unter die Leute bringen könnte. Das Aufzeichnungsjahr dieser Vorgänge ist vermutlich 1959, ein einschneidendes Ereignis könnte aber auch 1956 sein, indem sich einfach die letzte Zahl vertauscht hat: Der Neuner ist wie bei einem billigen Trick heruntergefallen und zum Sechser geworden. Freilich hat der aufschreibende Erzähler um 1956 im Dschungel von Honduras einen komischen Pilz gegessen, der ihm völlig neue Einsichten verpasst hat.

Natürlich ist das mit der Erzählhaltung alles nicht wörtlich zu nehmen. Einmal heißt es, dass die CIA spätestens nach dem Besuch im Tempel nicht mehr zurechnungsfähig gewesen ist, weil da bereits der Erkenntnispilz auftaucht. (231) An anderer Stelle heißt es beinahe germanistisch unverblümt:

Das genaue Gegenteil eines allwissenden Erzählers zuckte mit den Schultern. (216)

Der Roman selbst zeigt sich in vier Tragödienblöcken eines griechischen Theaters.

In Teil eins (5) stellt sich der Erzähler als Alkoholiker, CIA-Mensch und Drehbuchschreiber vor, der jetzt, 1959 alles hinter sich hat. Die Geschichte beginnt bereits 1938, als in Honduras ein Maya-Tempel entdeckt wird, zu dem sich sofort zwei Trupps aufmachen. Die einen wollen einen Film mit dem Arbeitstitel „Herz der Finsternis“ drehen und die Pyramide als Aufhänger verwenden, die anderen bauen schon am ersten Tag die halbe Pyramide ab, um sie in New York in einem Museum aufzustellen.

Im zweiten Teil (93) kommt Post aus dem Dschungel. Es sind offensichtlich Jahre vergangen und die beiden Trupps haben sich vom allgemeinen historischen Ablauf abgekoppelt. In einer Art kollektiver Robinsonade meistern sie in der brütenden Vegetation ihr Leben und halten sich dabei in Schach wie verfeindete Kongressparteien. Eine Art jahrzehntelanger Shutdown zieht durch den biologischen Filz. Die Post aus dem Dschungel hat so lange gedauert, weil keine Eingeborenen für die Lebensmittel um die Wege sind (111) und zudem die Papierherstellung in der Hitze recht umständlich ist. Der Filmgruppe geht es um nichts besser, sie muss mit notdürftigem Pflanzenmaterial die Karkasse für den Film herstellen; Trotzdem entsteht kilometerlanges Filmmaterial, die Frage ist nur, ob auch was auf dem Film drauf ist.

Im dritten Teil (235) wird der CIA-Erzähler gerade vierzig, er feiert mit Prostituierten und macht sich auf den Weg nach Honduras in den seltsamen Ort San Esteban, der als allegorische Hölle beschrieben ist. Es ist 1956 und der Agent sieht endlich den sagenhaften Tempel, gerät an den Pilz der Erkenntnis und verliert das Gefühl für Fakten.

Im vierten Teil (341) versucht der Agent, sich seine CIA-Karriere ins Bewusstsein zu rufen, aber wie bei jeder schrägen Mission bleibt alles im Dunkeln. Offensichtlich ist er viel im Gefängnis gewesen und hat nicht viel erreicht. In einer Art Vermächtnis stellt er eine Verbindung her, wonach der Maya-Gott zu United Fruit gewechselt hat. Das könnte sich mit der Mission der CIA ausgehen.

Jeder Leser ist in diesem Wahnsinnsfall für seine persönliche Logik zuständig, niemand sollte sich bei dieser Lektüre auf andere verlassen. Den CIA als Erzähler einzusetzen ist in Zeiten Trumps einfach genial und grenzwertig. Der Wahnsinn ist auf jeden Fall einer Niederlage bei der Lektüre vorzuziehen!

Ned Beauman, Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen ist. Roman, a. d. Engl. von Marion Hertle [Orig.: „Madness is Better than Defeat“, London 2017]
Hamburg: Tempo Verlag 2018, 473 Seiten, 24,70 €, ISBN 978-3-455-00416-8

 

Weiterführende Links:
Tempo Verlag: Ned Beauman, Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen ist
Wikipedia: Ned Beauma

 

Helmuth Schönauer, 04-12-2018

Bibliographie

AutorIn

Ned Beauman

Buchtitel

Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen ist

Originaltitel

Madness is Better than Defeat

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Tempo Verlag

Übersetzung

Marion Hertle

Seitenzahl

473

Preis in EUR

24,70

ISBN

978-3-455-00416-8

Kurzbiographie AutorIn

Ned Beauman, geb. 1985 in London, lebt in England.

Marion Hertle, geb. 1977, übersetzte u. a. Ray Bradbury und Edna O‘Brien.