Alois Reiter, Polterdämmerung

alois reiter, polterdämmerungWas für ein aufregender Abgang! Es poltert ein wenig, eine Epoche geht zu Ende, langsam wird es dunkel, vielleicht beruhigt sich auch alles wieder.

Alois Reiter greift für seine Sammlung von Gedichten und Aphorismen auf ein seltsames Wort zurück, das ein wenig nach Brauchtum, Heimatverbundenheit, Naturgegebenheit und Abgang klingt. Ein lyrisches Ich zieht sich zurück, poltert noch einmal ordentlich, schickt auch den einen oder anderen schweren Stein in die Tiefe, ehe es dann ruhig wird und das Herz aus dem Stolpermodus zurückfindet in die Gelassenheit.

Das Hauptthema ist die Mächtigkeit der Natur, die einem völlig anderen Zeitbegriff unterliegt als der Mensch, der womöglich noch in Panik gerät, wenn seine Zeit aus ist. Ein Schlüsselbegriff ist das Chaos, das immer wieder auftaucht in den Texten. Das Chaos ist wohl das Gegenteil zur sogenannten Schöpfung, die sich der Mensch in einer naiven Art zurechtgelegt hat. Das Chaos ist die oberste Ordnung, das strengste Zeitmaß und die ultimative Logik.

In dieser Chaos-Konstellation geraten scheinbar fixe Haltegriffe ins Wanken, der graublaue Fels zeigt eine kleine händisch gezogene Rille, über die vorläufig das Wasser abfließt, als Außenposten einer Urquelle. Nur was geschmeidig ist, hat die Chance zum Überleben, der Komposthaufen, der sich auf nichts Fixes einlässt, das Windrad, das sich Tag und Nacht einem stärkeren Element unterwirft.

Das lyrische Ich ist in diesem Ambiente klug beraten, wenn es sich zurücknimmt und die eigenen Lebenspunkte relativiert. Im Juni 1945 etwa, wenn die in der Landschaft aufgestellten Protagonisten ausgetauscht werden. Andere wuzzeln Zigaretten, andere braten jetzt die Weinbergschnecken im Geschirr, andere stoßen ein schreckliches Wort aus, Mauthausen, und im Hintergrund gibt es abermals diesen durchdringenden Frauenschrei. (29)

Am anderen Ende dieser Biographie steht die Gegenwart, worin die Schritte kürzer werden, die Stiegen steiler, der Atem rauer. Die Natur freilich kennt keine Biographie, sie atmet in Jahreszeiten.

Urkraft // Lasse im Garten / Die Gabel sinken / Am Himmel / Die Urkraft der Welt // Ein Rauschen Wuchten / Flügelschlagen / Wildgänse / Von Ost nach West // Weiter oben / Quillt Weiß ins Blau / Wende mich ab / der Arbeit zu (9)

An guten Tagen sind diese Kräfte ausgewogen, das lyrische Ich bedenkt seine Lage und stiftet ein „Wurmlob“, worin sich ein Gekrümmter durch den Boden bewegt, um schließlich dem Menschen locker die Speise zu servieren.

Die abrundenden Aphorismen sind oft nur kleine Wortfetzen, aus dem Alltag herausgeklaubt, beim Denken liegen gelassen, an unerwarteter Stelle auf einem Stück Papier entdeckt. Darin diese rätselhaft schöne Fügung „Stegreifig sterben.“ (57) Mit so einem Aphorismus lässt es sich wochenlang unterwegs sein.

Alois Reiter, Polterdämmerung. Gedichte & Aphorismen, mit einem Nachwort von Helmut Belanyecz
Linz: Bibliothek der Provinz Verlag 2018, 64 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-00028-802-3

 

Weiterführender Link:
Bibliothek der Provinz Verlag: Alois Reiter, Polterdämmerung

 

Helmuth Schönauer, 04-11-2018

Bibliographie

AutorIn

Alois Reiter

Buchtitel

Polterdämmerung. Gedichte & Aphorismen

Erscheinungsort

Linz

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Bibliothek der Provinz

Seitenzahl

64

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-00028-802-3

Kurzbiographie AutorIn

Alois Reiter, geb. 1933 in Linz, lebt bei Rohrbach im Mühlviertel.