Alfred Goubran, Technische Tiere

alfred goubran, technische tiereManche Ausdrücke lassen einen beim Dahinlesen kurz innehalten, da ist etwas Neues, da ist etwas, was es in dieser Form noch nie gegeben hat. „Technische Tiere“ ist so eine Begriffskombination, die einen zuerst einmal stutzen lässt, bis man eine erste Erklärung findet. Technische Tiere sind vielleicht besonders geschickte Tiere, die ihren Beruf ähnlich dem technischen Zeichner besonders sorgfältig ausüben. Oder sie sind eine besonders seltene Form von „Hohen Tieren“.

Alfred Goubran lässt sich seit Jahren am besten mit einer von ihm erschaffenen Dichter-Figur beschreiben. Dieses Zitat wird als literaturgeschichtliches Label gepflegt. „Jeder Dichter ist ein Orakel, aus dem sich das Unerschaffene in die Welt spricht. Jeder Dichter wirkt durch die unsichtbare Welt und weiß Dinge, die er nicht wissen kann – und das steht durchaus in der Tradition der Dichter, der ich mich verbunden fühle.“ (92)

Diese Poetik ist zur Vorsicht mit genügend Leerstellen ausgestattet, so dass sie nicht widerlegt werden kann. So einem raffinierten Dicht- und Denkansatz kann man letztlich nur zustimmen, weil für alles andere kein Platz angedacht ist.

Die Gedichte in der Sammlung „Technische Tiere“ sind einmal als Komplementär-Menge zu den Zeichnungen zu sehen, sie können eine Verbindung zu den orakelhaften Mustern und Schraffuren eingehen, müssen aber nicht. Die Zeichnungen strahlen jedenfalls etwas heldenhaft Reduziertes ab, wobei das Wort strahlen seit Fukushima im Japanischen eine besondere Bedeutung hat. Manche Gebilde sind Monstrositäten nach einem genetischen Unfall, an anderer Stelle werden die Organe einzeln gezeigt, wie sie als Bruchstücken in ein Schöpfungspuzzle eingelegt werden. Dann wieder zeigen Finger einen dramatischen Kurzfilm, der eine Gebärdensprache imitiert und dabei Emoticons als Fingerübung zur Schau stellt.

Um diese Zeichnungen sind die Gedichte herumgestopft wie Glaswolle für zerbrechlichen Zierat, die thermische Stöße anfangen soll. Die Sammlung ist unauffällig in zwei Teile geteilt, die jeweils zu einer Motto-Kiste ausgebaut sind.

Den Herzlosen / bleibt / das Mitgefühl. (11/43/90)

Dieses Motto kommt zu Beginn, in der Mitte und am Ende. Scheinbar ist es immer gleich hingeschrieben, aber durch die umliegenden Textfelder gerät es jeweils in eine neue emotionale Schattierung.

Die einzelnen Gedichte sind mit harmlosen Denotationen getarnt, meine Gedanken, Lehre, Wanderschaft, Haus, Segen, in der Anmoderation treten dann freilich jene Tiere auf, die rätselvoll als technisch bezeichnet sind. Unter einem Dorn taucht ein Rochen auf, neben der Lampe glänzt matt ein geschwungener Stierhornleib, unter einer Lupe lassen sich Flöhe anstarren. „Schlecht sehen im Alter die optischen Tiere.“ (31) Mit so einer Parole lässt sich vielleicht eine ganze Filmindustrie aus der Taufe heben.

In manchen Gedichten sieht man die technischen Tiere in Höchstform, etwa wenn sie unter dem Begriff Roaming alles in Schräglage bringen und ein Telefonat mit dem Jenseits freischalten. Tatsächlich sind es die hohen Roaming-Gebühren, die unsereins davon abhalten, mit dem Jenseits in ein ordentliches Gespräch zu treten.

Jemand hält mit einem Taschenrechner dagegen und richtig: gegen die Erotik des Taschenrechners sind selbst Fluchttiere machtlos.

Was wäre damit gewonnen, wenn man die Hirnprothesen zur künstlichen Intelligenz erklärt. (63)

Im Schlussbild jedenfalls hat das lyrische Ich sein letztes Hemd abgegeben und an einen Garderobenständer gehängt.

Alfred Goubran, Technische Tiere. Gedichte mit Zeichnungen von Kazaki Maruyama
Innsbruck: Limbus Verlag 2018, 96 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-135-8

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Alfred Goubran, Technische Tiere
Wikipedia: Alfred Goubran
https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Goubran

 

Helmuth Schönauer, 07-10-2018

Bibliographie

AutorIn

Alfred Goubran

Buchtitel

Technische Tiere. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Limbus Verlag

Illustration

Kazaki Maruyama

Seitenzahl

96

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99039-135-8

Kurzbiographie AutorIn

Alfred Goubran, geb. 1964 in Graz, lebt in Wien.

Kazaki Maruyama, geb. 1988 in Japan, ist Englischlehrerin und Illustratorin.