Güni Noggler, ausgekocht

güni noggler, ausgekochtIm Entertainment gelten Gespräche in einer künstlichen Küche als nette dramaturgische Konstellation, wo fallweise über Zwiebel und Kartoffel geredet werden kann, wenn das Gespräch zu sehr in die Tiefe eines Themas abdriften sollte.

Güni Noggler greift für sein Radio-Format „ausgekocht“ diese Hintergrund-Konstellation einer Küche auf, aber er bleibt so lange auf Sendung, bis die handelnden Personen wirklich ausgekocht sind und als blasse Karkasse am Küchentisch liegen.

Das Radio-Projekt besteht aus vierzig Sendungen, die im freien Radio FREIRAD in Innsbruck zwischen 2015 und 2018 produziert und gesendet worden sind, und aus einem Lesebuch, das neben den „Drehbüchern“ auch ein umfangreiches Register anbietet, worin so ziemlich alle skurrilen Figuren der Weltgeschichte gewürdigt werden. In diesem Register sind auch die gespielten Musikstücke sowie die angedeuteten Kochrezepte aufgelistet. Und wer ist nicht verblüfft, wenn beim Kochen Themen wie Kastrationsangst, Nacktmulch oder einfach Znaim angesprochen werden. Das Register allein ergibt schon eine Ode an eine verrückte Welt.

Das ausgekocht-Konzept ist genial. Der Erzähler oder Moderator lädt jeweils die Köchin eines Helden aus der Weltgeschichte ein und plaudert über Intimitäten, Ticks und impotente Schübe. Die Köchinnen werden dabei gleich zweifach gedemütigt, einmal, indem sie mit erhöhter Stimme vom Moderator imitiert werden wie in einem Klamottenfilm, und zum anderen, indem sie nichts zu sagen haben, denn die Weltgeschichte ist männlich. Das mag wie eine brutale Form des Anti-Genderns wirken, zeigt aber auf unverschmierte Art die wahren Machtverhältnisse. Denn jemand, der vorgeblich groß oder interessant ist, leistet sich eine Köchin.

Figuren wie Hitler, Fidel Castro, Kurt Waldheim oder Kemal Atatürk traut man es zu, dass sie eine Köchin gehabt haben, aber noch interessanter wird es, wenn Frauen andere Frauen als Köchinnen führen wie Queen Elizabeth, Mutter Theresa oder Beate Uhse. Hier stößt das Rollenspiel direkt in die perversen Abgründe der Macht oder des Entertainments hinein.

Pater Haspinger, der ewige Reinhold Messner oder der Attentäter Franz Fuchs mit Tiroler Migrationshintergrund zeigen, dass auch die Tiroler gute Köchinnen-Halter sind.
Da die Studiogäste immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Bekochten stehen, müssen sie sich zurückhalten, um nicht Intimitäten der Herrschaften auszuplaudern. Die unausgesprochene Compliance wirkt richtig entlarvend, wenn sie von der jeweiligen Köchin undiplomatisch umgangen wird. Zwischen dem Moderator, der ja eine flache, unterhaltsame Sendung produzieren soll, und der Köchin, die den Ball ihres Herrschers flach halten muss, entsteht eine doppelte Verflachung jener historischen Fakten, die die Zeitgeschichte erst richtig ungekämmt hochkochen lassen. Im Zweifelsfalle können simple Zutaten zum Kochen ungeahnte kulturgeschichtliche Vermutungen auslösen, wenn darüber etwa reflektiert wird, warum ein Weltstar gerade in dieses oder jenes Gericht verliebt ist.

Das Lesebuch liefert nicht nur im Sinne einer gedruckten Radiothek die jeweiligen Sendungen nach, durch das zeitlich, alphabetisch und örtlich verknüpfte Erzählmuster entsteht ein echtes Kompendium der Zeitgeschichte. Die jeweiligen Stargäste rühren dabei ordentlich einen vulgären Brei zusammen, der den Oberen nicht immer schmecken dürfte. Das Buch ist nämlich so angelegt, dass jeder seine persönliche Köchin ins fiktionale Visier nehmen könnte, während diese vorgeblich ein Lieblingsmenü zusammenstellt.

Die vierzig ausgekochten Porträts ergeben einen passablen Einblick in jene Szene, die von den Medien jeden Tag aufgetischt wird. Mit etwas Geduld ließen sich jede Menge neuer Stars hinzufügen. Durch die zeitliche Eingrenzung auf die vier Sendejahre ergibt sich ein Hörmonument, das in dieser Form nicht weiter ausgewalzt werden muss, weil es ja schon unsterblich ist.

Güni Noggler, ausgekocht. Das Lesebuch zu den Radiosendungen bei Freirad, Freies Radio Innsbruck 2015 – 2018
Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2020, 333 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-900888-71-8

 

Weiterführende Links:
Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative Verlag: Güni Noggler, ausgekocht
Homepage: Güni Noggler

 

Helmuth Schönauer, 08-03-2020

Bibliographie

AutorIn

Güni Noggler

Buchtitel

ausgekocht. Das Lesebuch zu den Radiosendungen bei Freirad, Freies Radio Innsbruck 2015 – 2018

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2020

Verlag

Verlag Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative

Seitenzahl

333

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-900888-71-8

Kurzbiographie AutorIn

Güni Noggler, geb. 1962, lebt in Schwaz.