Andrij Ljubka, Notaufnahme

andrij ljubka, notaufnahmeManchmal kann Lyrik so wild sein, dass aus ihren frisch geschnetzelten Schnipseln noch der Rauch der Fräsung aufsteigt, ehe die Zeilen dann spitz und voller Stacheln auf die Gedichtfläche fallen.

Andrij Ljubka gehört zur Spitze der zeitgenössischen ukrainischen Lyrik, seine Texte fallen oft monumental aus und ziehen sich mit schwerem Schädel aus klebrig dichten Nächten und schleppen sich durch endlose Tage. Oft entgleitet sich das lyrische Ich selbst, taucht in einer Orgie aus Trance und Suff ab und kommt an einer entlegenen Stelle zum Liegen. Das Aufwachen ist es, was uns am meisten Schmerzen bereitet.

Im Tiroler Verlag BAES, Spezialist für wund gelegene Literatur, erscheint demnächst eine Auswahl von Andrij Ljubkas wundersamen Wahnsinnsgedichten unter dem sinnigen Titel Uschhorod / Notaufnahme.

Uschhorod, die Heimatstadt des Autors, ist ein völlig westlich gelegenes ukrainisches Agglomerat westlich ausgerichteter Sehnsüchte. Aber die Stadt ist gleichermaßen so nächtlich und anarchisch, dass darin die Sehnsüchte verlässlich versickern oder zumindest nicht mit realen Mitteln Wirklichkeit werden. Die Notaufnahme ist einerseits jene Stelle, wo Menschen voller Sehnsucht im Koma abgeliefert werden, andererseits ist es ein Zustand des Wahrnehmens, ein Dichter vom Schlage Andrij Ljubkas nimmt die Welt quasi von der Liege der Notaufnahme aus wahr.

Filmrisse, Figuren aus Hollywoodstreifen, Liebeserklärungen am Abstreifer einer verkommenen Bar, Partikel eines versickerten Prüfungsstoffes an der Uni, Prüfungsangst und Kater schleichen durch die Zeilen, die Semantik ist seltsam eingekringelt, der sogenannte Sinn lässt sich von vorne wie hinten gleichermaßen unmöglich dechiffrieren. Eine Fügung kann bloße Verwundung auslösen ohne Information, wie man oft einen Nagel in den Putz schlägt nur um ein Loch im Putz zu haben.

Von Zeit zu Zeit benötigen wir etwas Veränderung / in unserem Leben. Zum Beispiel / aufwachen / morgens gleich an den kalten Rauch der Marlboro denken / der sogar auf dem Balkon steht / denk dir diesen klamm-kalten Nebel des Morgens / während du auf den Bus wartest / wie auf einen Riss in unserer Beziehung / Jetzt im Herbst ist jegliche Sicht noch einmal eine Spur eingeschränkt / die Magnitude des Blickes ist reduziert / dieser Nebel ist viel kleiner / als es die Dinge sind / und dabei haben wir noch gar nichts zu uns gesagt.

Wie grausam ungewöhnlich die Gedichte Andrij Ljubkas sind, zeigt vielleicht diese kleine Episode: Eine ukrainische Germanistin, die die Texte ins Deutsche übersetzen sollte, gab die ukrainischen Originale wieder zurück mit der Bemerkung, sie fühle sich in ihrem Weltbild und in ihren religiösen Gefühlen so verunsichert, dass sie nicht übersetzen könne.

Andrij Ljubka, Uschhorod / Notaufnahme. 39 Gedichte
Zirl: Edition BAES 2012, 86 Seiten, 12,00 €, ISBN 978-3-95032332-0

 

Weiterführende Links:
Edition BAES: Andrij Ljubka, Uschhorod / Notaufnahme
Wikipedia: Andrij Ljubka
 

als gratis Download:
Andrij Ljubka, Notaufnahme (pdf)

 

Helmuth Schönauer, 31-08-2010

Bibliographie

AutorIn

Andrij Ljubka

Buchtitel

Uschhorod / Notaufnahme

Erscheinungsort

Zirl

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition BAES

Seitenzahl

86

Preis in EUR

12,00

ISBN

978-3-95032332-0

Kurzbiographie AutorIn

Andrij Ljubka, geb. 3.12.1987 in Riga, lebt in Uschhorod.

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