oliver scherz, sieben tage mo„Ich hielt an, wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht und schaute gebannt auf die schwarz-graue Wolkenwand. Da ahnte ich noch nicht, wie sehr mich die nächsten Tage durcheinanderbringen würden. Dass es mir vorkommen sollte, als würde mich ein Wirbelwind in die Luft drehen, bis ich mich selbst nicht mehr richtig verstand …“ (S. 24)

Der zwölfjährige Karl und sein Bruder Moritz, genannt Mo, sind zwei ungleiche Zwillingsbrüder. Mo ist mit einer geistigen Behinderung zur Welt gekommen, nachdem ihm bei der Geburt durch seine Nabelschnur die Luft abgeschnürt wurde. Seit ihre Mutter wieder zur Arbeit geht, kümmert sich Karl um seinen Bruder, wenn beide wieder aus der Schule zurück sind.

marcus willaschek, kant„Immanuel Kant ist der bedeutendste Philosoph der Neuzeit, die Kritik der reinen Vernunft ein Meilenstein der Geistesgeschichte. Seit Platon und Aristoteles hat niemand über so viele und unterschiedliche Themen tiefer und innovativer nachgedacht als Kant. Er «zermalmte» die traditionelle Metaphysik – und begründete eine neue. Er erklärte die Entstehung unseres Planetensystems und formulierte den kategorischen Imperativ. Er war Wegbereiter des Kosmopolitismus und der modernen Idee der Menschenwürde.“ (S. 13)

Immanuel Kant zählt zu den wichtigsten Philosophen der Neuzeit, der in seinem Denken den Versuch unternommen hat, die Philosophie auf neue, gesicherte Beine zu stellen. Dabei hat er sich mit einer breiten Vielfalt an Themen auseinandergesetzt, von der Metaphysik bis hin zur Entstehung der Planetensysteme. Dabei hat er Vorstellungen formuliert, die heute noch das gesellschaftliche Denken bewegt, wie die bahnbrechenden Ideen von Kosmopolitismus und Menschenwürde.

anja stefan, tanze, tanze kleine maus„Trilli lilli, trallala, / unser Mäuschen ist nicht da, /Wo ist es? Am Hügel drüben, / such nach großen roten Rüben. // Trilli lilli, trallala wann ist Mäuschen wieder da? / Das weiß keiner, denn beim Gehen / bleibt’s bei jeder Blume stehen.“

Kinder lieben Gedichte und Reime, die wie Musik von den Lippen fliegen und sich mit lustigen frechen Geschichten verbinden. „Tanze, tanze, kleine Maus“ bietet eine ebenso witzige wie fröhliche Sammlung von Mäusegedichten zu den verschiedensten Lebenslagen.

lukas meschik, die würde der empörtenHistorische Zeitepochen werden oft nach psychischen Klein-Befindlichkeiten benannt, ehe sich dann ein großer Begriff durchsetzt wie beim Barock oder der Romantik. Um 1900 wurde etwa vom „nervösen Zeitalter“ gesprochen, weil der Erste Weltkrieg ja noch auf sich warten ließ. Die Gegenwart hat ebenfalls viele Probe-Begriffe im Umlauf. Unter anderem verwendet sie den Ausdruck „Wutbürger“, um den Auflauf irritierter Menschen zu beschreiben.

Lukas Meschik versucht, die Gegenwart mit einem essayistischen Roman in eine Erzählung zu verwickeln. „Der Vorteil des Erzählens besteht darin, nicht auf Prognosen angewiesen zu sein.“ (24) Und im Vorsatz ist als Motto eingeprägt: „Die Gegenwart lässt sich am besten als Dystopie erzählen.“ (5)

jeremy dronfield, fritz und kurt - zwei brüder überleben den holocaust„Ich erzähle die Geschichte einer Familie, die mehr Grund zur Sorge hatte als viele andere. Sie hieß Kleinmann. Gustav und seine Frau Tini hatten vier Kinder: zwei Mädchen und zwei Jungen – Edith und Herta, Fritz und Kurt. Sie lebten in Wien, der schönen alten Hauptstadt von Österreich. (S. 16)

Für die jüdische Familie Kleinmann ändert sich nach dem Einmarsch Hitlers im Frühjahr 1938 alles. Als Juden werden sie vom öffentlichen Leben ausgegrenzt und schließlich verfolgt. Das Buch erzählt vom Schicksal der beiden Brüder Fritz und Kurt, denen es gelang die Grauen der NS-Zeit zu überleben.

Die Familie Kleinmann ist sofort von den Arier-Gesetzen betroffen, mit dem bereits in Deutschland Juden aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden und die das Leben der jüdischen Bevölkerung schikanierten. Die beiden Brüder mussten erleben, wie Menschen, mit denen sie früher befreundet waren, sie plötzlich schnitten oder ihnen sogar aggressiv begegneten.

robert stähr, plattform einsIn manchen Kulturen wird das Parterre eines Gebäudes mit „Plattform eins“ bezeichnet. Das trifft sich gut, denn unter Parterre versteht man im psychologischen Kontext einen Zustand, bei dem die Helden seltsam am Boden sind. – „Heute bin ich wieder ganz Parterre!“

Robert Stähr nimmt drei Anläufe, um derangierte Helden und am Boden zerstörte Individuen auf die Plattform eins zu heben. Eingestimmt wird der Leser auf die jeweiligen Abschnitte mit drei Tuschzeichnungen von Sandra Lafenthaler, die wie brüchige Lava-Konturen Umrisse zum Vorschein bringen. Sie erinnern einmal an ein Knäuel Papier, dann wieder an eine schräg aufgezogene Jalousie und schließlich an einen notdürftig zusammengeklappten Seilzug. Die Linien dieser drei Zeichnungen sind spröde, der Strich setzt zwischendurch aus und ergibt schließlich ein Stück pure Perforation.

friedbert stohner, lottiAlso es war an einem Montag, da durften wir unser Lieblingskuscheltier mit in die Schule bringen, und ich hab Lotti mitgenommen, und als ich nach Hause kam, war sie nicht mehr in meinem Rucksack, sondern bloß Nikos blöder Gorilla, der angeblich dauernd pupsen musste, dabei war es bloß Niko selber mit den Lippen. So ist mein Teddy Lotti verschwunden … (S. 5)

Die kleine Mathilde ist zu Tode betrübt, als sie nach der Schule bemerkt, dass Lotti, ihr geliebter Teddybär, verschwunden ist. Zunächst verdächtigt sie Niko, einen Mitschüler, doch dann läutet es unerwartet an der Haustür und der kleine Teddybär sitzt zur Überraschung aller ganz alleine auf der Fußmatte.

martin mandler, kleiner vogel glückWenn die Vögel aussterben, erfahren Romane mit dem Wort Vogel im Titel umso heftigere Aufmerksamkeit.

Martin Mandler nennt seinen Roman über einen modernen „Hans im Glück“ nach jener Volksweisheit, wonach das Glück ein Vogerl sei, das sich mal hier, mal dort niederlässt. Dieses sprunghafte Herum-Navigieren wie ein Vogerl ist auch das Erzählmuster, das dem Roman zugrunde liegt. Ein Glücksforscher im Hintergrund schiebt diverse Figuren durch das Tableau der jüngeren Zeitgeschichte.

Kern der Geschichte ist ein Hans im Glück aus dem vorigen Jahrhundert, der im Ersten Weltkrieg als heimisches Bauernkind an der Dolomiten-Front eingebunkert ist in einer grandiosen Landschaft. Von dieser kann er sich nur unter Lebensgefahr eine Scheibe abschneiden, wenn er heimlich ins Freie kriecht in der Hoffnung, dass er vom Feind nicht gesehen wird. Aber Krieg hin oder her, wenn man es schafft, alles auszublenden bis auf die ikonenhafte Schöpfungslandschaft, dann stellt sich sogar etwas wie Glück ein, während man dies alles sehen und in Worte kleiden darf.

katja alves, mafalda mittendrin„»Cosimo, wo sind wir?« »Wir sitzen in einem miefigen Pappkarton auf einer Reise ins Ungewisse.« »Haha, sehr witzig.« »He, Claus! Was machst du?!« »Nichts … Uh, dieses Schaukeln ist ja nicht auszuhalten. Gleich kommt mein Frühstück hoch …« »UNTERSTEH DICH!«“ (S. 7)

Mafaldas Beckmanns Bruder Flynn darf die beiden Wüstenrennmäusen Cosimo und Claus seines Freundes Henrik für eine Projektarbeit für die Schule beobachten. Malfalda ist ganz begeistert von den niedlichen Nagern und will sie unbedingt ihrer besten Freundin Selin zeigen, was Henrik rigoros ablehnt, bis er für den Besuch der Skate-Academy jemanden braucht, der sich um seine beiden Mäuse kümmert. Keine Frage, dass Mafalda diese Gelegenheit beim Schopf packt.

franzobel, im hirnsaal„Poetikvorlesungen besitzen den Glaubwürdigkeitsgehalt einer Teleshopping-Präsentation.“ (15) – Diese entlarvende Einschätzung der Autorin Julie Zeh deutet darauf hin, dass es sich beim Abfassen von Texten über sich selbst um eine schwere Autoimmunstörung handelt.

„Im Hirnsaal“ ist jedenfalls eine aufregende Location, worin der Universal-Autor Franzobl seinen Essay über sich selbst, sowie das Lesen und Schreiben im Literaturbetrieb eingerichtet hat. Der Essay ist 2021 im Rahmen der „Ernst-Jandl-Dozentur für Poetik“ für die Alte Schmiede in Wien entstanden. Da Franzobel sowohl in Rede als auch in Schreibe als Solitär arbeitet, lässt sich der Essay über „Norm und Abweichung“ lesen, als ob man gerade dem Autor lebend gegenübersäße.