Wilhelm Genazino, Die Liebesblödigkeit

Buch-CoverWenn der Titel eines Romans zu einem geflügelten Wort wird, ist eigentlich in der Literatur alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Mittlerweile ist es im Smalltalk durchaus üblich, jemanden nach seiner Liebesblödigkeit zu fragen, also danach, wie vertrottelt er in seinem Liebesverhalten schon geworden ist.

Wilhelm Genazinos süffisanter Lebenskunde-Roman erzählt von Fünfzigjährigen, die in der Liebe alt werden und dabei ins Senil-Kindische ausreifen. Die Sicht der Dinge liefert ein mega-zeitgenössischer Icherzähler, der als Trainer gesellschaftliche Endzeitprognosen unterrichtet und dessen Liebespsyche von Sandra und Judith begleitet wird.

Die Ökonomisierung des Hormonhaushaltes zwingt ihn zu radikalen Einschnitten, er wird eine Frau verlassen müssen, weil er es einfach nicht mehr ?dertun? wird, wenn er älter wird.

Beide Frauen haben ihre Vorzüge und von einer Partnerin versteht man generell nur etwas, wenn man zwei davon hat. Das gilt auch geschlechtsumgekehrt, erst der Unterschied definiert das jeweilig Einmalige. Die Frauen werden unter diesem Gesichtspunkt emotionaler Wirtschaftlichkeit analysiert und anschließend dem Ritual von ökonomischen Freisetzungsprozessen unterworfen.

Die Sprache ist voller Ironie und eiert in beide Richtungen. Einmal werden wirtschaftliche und seminartechnische Bilder über die hehren Sprechrituale der Liebe gestülpt, zum anderen sind die Figuren bereits so mit der Liebestechnik vertraut, dass sie sich in eine skurrile Insidersprache und in die Icons einer Spezialistentruppe verflüchtigen dürfen.

Da werden Schemel und andere Untersätze mobilisiert, um einen Geschlechtsakt mit lädierten Gliedmaßen hinzukriegen, das Genitale wird positioniert, wie man üblicherweise dem Frisör den Kopf hinhält, und gleichzeitig schleicht das Alter unaufhörlich voran wie Nässe aus einem undichten Rohr. Was gestern noch wie geschmiert gelaufen ist, kann heute schon eine Verkrampfung oder einen genitalen Bluterguss auslösen.

Wilhelm Genazino erzählt das alte Thema von Liebe, Tarnung, Verstellung und Trennung mit dem Wortwitz des Jahres 2005. Es gibt wohl kaum einen Fünfzigjährigen, der nicht von diesem Roman angesprungen würde. Und das Verhältnis von Mann und Frau ist von einer so erhabenen Position aus beschrieben, dass zwar das männliche Ich von innen erzählt, aber die beiden Frauen durch ihre Figuration die wahren Heldinnen des Buches sind. Je blöder die Liebe, umso mitreißender wird sie, die Liebesblödigkeit ist ein einziger Auf.- und Mitriss!

Wilhelm Genazino: Die Liebesblödigkeit. Roman.
München: Hanser 2005. 202 Seiten. EUR 18,40. ISBN 3-446-20595-0.

 

Helmuth Schönauer, 17-12-2005

Bibliographie

AutorIn

Wilhelm Genazino

Buchtitel

Die Liebesblödigkeit

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Hanser

Seitenzahl

202

Preis in EUR

EUR 18,40

ISBN

3-446-20595-0

Kurzbiographie AutorIn

Wilhelm Genazino, geb. 1943 in Mannheim, lebt in Frankfurt.

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