Konrad Paul Liessmann, Bildung als Provokation

Bildung lässt sich vielleicht mit jenem Kinderspiel vergleichen, das früher analog und politisch unkorrekt gespielt worden ist. „Wer fürchtet sich vorm afrikanischen Mann? - Niemand. - Wenn er aber kommt? - Laufen wir davon.“

Konrad Paul Liessmann hat der Philosophie das Unterhaltsame zurückgegeben, ohne dass sie deshalb flach geworden wäre. Die kompliziertesten Ideen verknüpft er mit griffigen Bildern, er fordert den Widerspruch seiner Diskussionspartner heraus, und das Publikum, arg enttäuscht von Konsum und üblicher Unterhaltungsindustrie, entdeckt plötzlich die Neugierde auf das eigene Leben und liegt dem Philosophen weit gestreut zu Füßen.

Bildung als Provokation ist ein philosophischer Ritt durch allerhand Ungereimtheiten der Gegenwart. Das Buch wirkt wie aus einem Guss, und tatsächlich greifen die einzelnen Kapitel, die oft disparat veröffentlicht worden sind, logisch ineinander über. Der Autor liebt diese peripheren Orte, wenn es um Erkenntnis geht, ein Lob über eine kleine Hegel-Abhandlung von Joachim Ritter bedient sich der Fügung: er veröffentlichte diese 1957 „an einem entlegenen Ort“. (156)

Diese genauen Blicke, oft an die Peripherie und an die Grenzen des Denkens gerichtet, sind das genaue Gegenteil des Internets, das vielleicht dem Anspruch huldigt: Weil uns nichts Neues einfällt, schreien wir immer nach Innovation.
Die Bildung wird in diesem Reader bei den Hörnern der Anwendung gepackt und zerlegt. Sie ist längst Religionsersatz und Phrase in einem geworden. Wenn etwas auf dieser Welt nicht erreichbar oder erklärbar ist, soll es die Bildung richten.

Dabei gibt es durchaus brauchbare Denkpfade durch den Dschungel an Unwissenheit. Für viele seiner Aufsätze verwendet KPL, wie er in Insiderkreisen liebevoll abgekürzt wird, den Trick, dass er die humanistische Bildung im Gymnasium Villach auf die Gegenwart umlegt. Und die Ergebnisse sind erstaunlich, was die Griechen, gefiltert von der Kärntner Provinz, immer noch Gültiges zur Weltlage zu sagen haben.

Neben dem Schulsystem ist es vor allem Europa, das ständig mit Fragen bedrängt und ohne Antworten geliebt werden möchte. KPL greift für Europa zu einer genialen Hilfsbrücke. Was wäre, wenn man Europa als Kunstwerk begriffe und nach Tönen, Farben und Worten untersuchte? Allein die Farbigkeit oder das Monochrome einer politischen Landschaft erklärt schon nach ästhetischen Überlegungen, wie Europa beschaffen sein könnte.

Die Methode des Autors, regelmäßig in Aufsätzen den philosophischen Alltag des Kontinents abzuarbeiten, ist bestechend. Philosophieren ist vielleicht einfach wie das Gehen, aber sobald man die passenden Wanderschuhe sucht, verdichtet es sich zu einem Lebensgefühl.

Veränderung auf Befehl bringt Konrad Paul Liessmann übrigens zum Lachen. Er denkt dabei an ein Gedicht von Rilke, wonach dem lyrischen Ich beim Anblick eines Torsos die Lust nach Veränderung des Lebens kommen sollte. Beim Philosophieren ist auch das Loslachen erlaubt, wenn etwas für den Tod witzig ist.

Konrad Paul Liessmann, Bildung als Provokation
Wien: Zsolnay Verlag 2017, 237 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-552-05824-8

 

Weiterführende Links:
Zsolnay Verlag: Konrad Paul Liessmann, Bildung als Provokation
Wikipedia: Konrad Paul Liessmann

 

Helmuth Schönauer, 06-10-2017

Bibliographie

AutorIn

Konrad Paul Liessmann

Buchtitel

Bildung als Provokation

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Zsolnay Verlag

Seitenzahl

237

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-552-05824-8

Kurzbiographie AutorIn

Konrad Paul Liessmann, geb. 1953 in Villach, lebt in Wien.