Joost de Vries, Die Republik

Das ganze Hotel voller Hitler-Experten, am Gang sieht man den niederländischen Rechten-Führer vorbeihuschen, in der Seitengasse werden in einem Antiquitätenladen originale Hitler-Devotionalien angeboten, am Heldenplatz imaginieren die Hitler-Forscher den Führer auf den Balkon – Wien ist für ein paar Tage der Austragungsort eines Welt-Hitler-Kongresses.

Joost de Vries tarnt seinen Roman mit einem unauffälligen Titel, es gibt kaum etwas Harmloseres, als die Republik in den Mund zu nehmen. Gegen Ende freilich klärt sich diese Harmlosigkeit auf, bei der Republik handelt es sich immer um etwas Schwaches oder gar einen Abstieg, der nach der Monarchie oder Diktatur ausgerufen wird. (255)

Und tatsächlich geht es jenseits der Republik um Hitler-Kult, Verschwörung, Forschung, Getue und akademische Schleissigkeit. Im Mittelpunkt steht Josip Brik, ein Guru vom Ausmaße eines Guido Knopp, der die Erforschung und essayistische Aufarbeitung Hitlers zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat. Er stirbt gleich zu Beginn des Romans, sodass es um Nachfolge, Werktreue und Ahnenkult, kurzum um die Führerei im Führerwesen geht. Der Ich-Erzähler Friso und ein verballhornter De Vries ringen um das Erbe, das sich letztlich auf die pure Urne konzentriert. Wer die Urne hat, hat das Reich!

Sprachrohr dieser „Fanficton“ (256) ist die Zeitung Schlafwandler, ein Organ, das alle Hitler-Forschungen zusammenfasst. Als aktuelles Forschungsgebiet hat sich gerade Chile aufgetan, wo ein gewisser Hitler Lima im Telefonbuch entdeckt worden ist, der naturgemäß sofort interviewt werden muss. Wie kommt es zu einem solchen Namen, ohne dass sein Träger behördlich verfolgt wird? Der Ich-Forscher erkrankt bei der Befragung lebensgefährlich und wird jetzt auf dem Wiener Kongress die neuesten Hitlereien auftischen.

Was machen Sie? - Ich bin in Hitlerstudien tätig! (164)

Die Hitlerianer haben sich mittlerweile wie in einer echten Religion in diverse Flügel aufgespalten, die nach dem Wirken Hitlers benannt sind, also die Linzer, Münchner, Wiener oder Berliner Hitlerianen. Sie ringen um die reine Lehre, aber der Kongress wird keine Klärung bringen.

Hinter diesem abenteuerlichen Plot, der ständig die Frage aufwirft, was sich ironisieren lässt und was unter Wiederbetätigungsschutz steht, tut sich eine akademische Welt der Halbwahrheit auf. Globalisierte Forschungen neigen ständig zu Personenkult und Mythisierung. Die Forscher selbst werden zum Lehrinhalt und über allem thront die Unterhaltungsindustrie mit akademischen Halbformaten.

Joost de Vries rüttelt an den Säulen wissenschaftlicher Unabhängigkeit, seine Helden sind Unterhaltungskünstler, die vielleicht zu geheimen Rechten werden, während sie über die Rechten zu forschen vorgeben. Und Wien kann nur hoffen, dass man sein braunes Bild als etwas Österreichisch-Romanhaftes nimmt, im Braunen sind ja rosa Töne drinnen!

Joost de Vries, Die Republik. Roman. A. d. Niederl. von Martina den Hertog-Vogt. [Orig.: De Republiek, Amsterdam 2013]
München: Heyne Verlag 2016, 299 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-453-27079-4

 

Weiterführender Link:
Heyne Verlag: Joost de Vries, Die Republik

 

Helmuth Schönauer, 11-09-2016

Bibliographie

AutorIn

Joost de Vries

Buchtitel

Die Republik

Originaltitel

De Republiek

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Heyne Verlag

Übersetzung

Martina den Hertog-Vogt

Seitenzahl

299

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-453-27079-4

Kurzbiographie AutorIn

Joost de Vries, geb. 1983 in Alkmaar, lebt in Amsterdam.