Bernd Schuchter, Föhntage

Die Welt ist alles, was der Fallwind ist, sagt ein kauziger Typ über die Alpen, deren Haupt-Merkmal vielleicht der Föhn ist. Und egal wo Nord- oder Südtirol tagsüber politisch hin driften, nächtens fließt der Föhn und kratzt die Bewohner auf und bringt sie in Wallung.

Bernd Schuchters „Föhntage“ erzählen die Geschichte der Südtiroler lange nach der Option und den Bombenjahren als Geschichte eines Kindes, das allmählich hinter den Wahrnehmungen seltsame Zusammenhänge ausmacht. „Man kann so eine Kindheit nur in Bilder fassen“ (23), weshalb oft wie in einer Galerie die unterschiedlichsten Aquarelle neben einander hängen und vom Passanten zu einem Erlebnis zusammengesetzt werden.

Lukas verlebt seine Kindheit in einem Innenhof einer Innsbrucker Vorstadt, seine Stimmung ist neugierig ungeduldig:

Der Sommer war noch jung, dennoch wollte er keinen Tag versäumen. (29)

Eine wichtige Bezugsperson ist der alte Lahner, der vor Jahrzehnten aus Südtirol abgewandert ist und versucht, durch Verdrängen der eigenen Geschichte Herr zu werden. Aber die alte Heimat verfolgt ihn, wenn Musikkapellen aus verzaubert klingenden Orten an Etsch und Eisack jubilierend durch Innsbruck ziehen.

Dieses wehmütige Erinnern des Lahner ist für Lukas ein pastoses Gel, das hinter seinen Interessen hervorquillt, er will nämlich nur nach Kaltern, um die deutsche Fußballmannschaft beim Trainieren zu sehen.

Tatsächlich kommt bei diesem Südtirol-Ausflug die Geschichte des Lahner noch zu einer Abklärung. Zuerst wird er verstört auf seinem ehemaligen Heimathof empfangen, weil die Nachfahren glauben, er wolle seine Erbschaft antreten. Dann trifft er sich mit dem ehemaligen Carabiniere Guiseppe, der während der Bumser-Zeit nach Südtirol versetzt worden ist um den Staat zu exekutieren. Die Zeit heilt alle offenen Geschichtswunden, und die Altersmilde schafft, was Friedensverträge nicht vermögen, nämlich einen Status quo zu akzeptieren.

Nicht die Orte sind es, es sind am Ende doch die Menschen! (183)

Durch die Spiegelung dieses Versöhnungsaktes vor den Augen eines Kindes, entsteht wie von selbst jene Zukunft, zu der die Alten bloß noch ihren Frieden beitragen können. Letztlich ist es „Zeit, die Nebel zu lichten, es kommt Föhn auf“. (128)

Bernd Schuchter erzählt ein Stück Zeitgeschichte vor den Augen eines Kindes, das mit großen Augen am Innsbrucker Bahnhof die Weiler-Fresken erklärt bekommt, ehe es durch das Wipptal nach Südtirol fährt wie in einen fremden Kontinent.

Sigmundskron, Andreas Hofer, das PANINI-Album mit Fußballern – es sind letztlich Bilder, um die die Zeitgeschichte geschart wird. Föhntage sind vielleicht jene blauen Stunden, in denen der Blues der Vergangenheit sich zu frischem Wind aufschwingt.

Bernd Schuchter, Föhntage. Roman.
Wien: Braumüller 2014. 184 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-99200-120-0

 

Weiterführende Links:
Braumüller Verlag: Bernd Schuchter, Föhntage
Homepage: Bernd Schuchter

 

Helmuth Schönauer, 15-09-2014

Bibliographie

AutorIn

Bernd Schuchter

Buchtitel

Föhntage

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Braunmüller Verlag

Seitenzahl

184

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-99200-120-0

Kurzbiographie AutorIn

Bernd Schuchter, geb. 1977 in Innsbruck, lebt als Verleger und Autor in Innsbruck.