Rainer Juriatti, Spaghettifresser

In einem Essay lassen sich Eruptionen, die ungefragt aus einem hervorbrechen, insoweit kanalisieren, dass auch die Leser sich mit dem Thema auseinandersetzen ohne davon verschüttet zu werden.

Rainer Juriatti, in Bludenz aufgewachsen und dann nach Graz emigriert, überfällt es immer wieder dieses Herumziehen, Auswandern, Flüchten und der Arbeit Nachrennen. Seine Vorfahren hat es vom Trentino nach Vorarlberg verschlagen, ein Verein arbeitet dort den historischen Zuzug auf, der sich unter das knallharte Sprichwort stellen lässt: „Mir parlen Italiano und spreggen Dütsch piano.“ (19)

Der Autor setzt seine Gedankenausschweifungen über diese „Spaghettifresser“ zwischen die Kladden-Deckel einer Erinnerung an seine Vorfahren, es bleiben die Orte der Geburt und des Sterbens, und ein riesiger Bindestrich, der zwischen den Anfangs- und Enddaten des Lebens steht. Und auch von ihm selbst wird nicht viel mehr bleiben, als eben Bludenz und Graz, und ein paar Überlegungen dazwischen.
In Interviews mit Zugezogenen, beim Filmprojekt „Keine Schwarze Meer“ oder beim Durchblättern von Statistiken tun sich immer ähnliche Argumentationen auf:

Es gibt immer irgendwas, das einen Menschen zwingt, wegzugehen. (33)

Man gibt den Opfern die Schuld. (40)

Selbst in Österreich von einem Bezirk in den nächsten zu ziehen, ist mit riesigen Schwierigkeiten verbunden, wieder heimisch zu werden. (84)

Diesen Erkenntnissen auf der authentischen Ebene stehen achselzuckende zynische Sätze gegenüber, etwa wenn der ehemalige US-Verteidigungsminister und nachmalige Weltbankpräsident Robert McNamara lapidar feststellt, dass es eben immer Armut geben wird, die die Menschen in Bewegung hält.

Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung ums Überleben kämpfen, der unsere durch intellektuelle Fantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt. (35)

Momentan leben 1,2 Milliarden Menschen in diesem vorstellungslosen Fantasie-Raum.

Natürlich kommen auch die Stereotypen zum Zug, die rumänische Kindergärtnerin in Graz, die sich als Kellnerin durchschlägt und nicht mehr wegkommt, der afghanische Jugendliche, der traumatisiert ist und offensichtlich deshalb ein Schicksal hat zum Unterschied von seinen Altersgenossinnen, die einfach unter einer Burka im eigenen Land stecken, vergessen von der Welt.

Überhaupt ist man als Leser manchmal gedrängt zu fragen, warum es nicht einmal einen Essay gibt, worin gezeigt wird, wie der Bewohner eines Bundeslandes um sein Schicksal kämpft, weil er nichts anderes hat, als Bewohner dieses Bundeslandes zu sein. Aber das ist eben keine eruptive Überlegung.

Rainer Juriatti schließt seinen Essay konsequent melancholisch, „was bleibt von meinem Leben, das sind einige wenige Reliquien. Eine Taschenuhr. Eine Zigarre vielleicht. Manifestationen gelebten Lebens.“ (99)

Rainer Juriatti, Spaghettifresser oder: Migranten im Gehege der Duldung. Essay. Vorwort von Josef Concin.
Innsbruck: Limbus 2014. 98 Seiten. EUR 10,-. ISBN 978-3-99039-010-8.

 

Weiterführender Link:
Limbus Verlag: Rainer Juriatti, Spaghettifresser oder: Migranten im Gehege der Duldung
Wikipedia: Rainer Juriatti

 

Helmuth Schönauer, 02-05-2014

Bibliographie

AutorIn

Rainer Juriatti

Buchtitel

Spaghettifresser oder: Migranten im Gehege der Duldung

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

98

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-99039-010-8

Kurzbiographie AutorIn

Rainer Juriatti, geb.1964 in Bludenz, lebt in Graz.