Gedenkjahr 1938: Der Anfang vom Ende Österreichs

Das Jahr 2018 bietet in Österreich Gelegenheit für zahlreiche Gedenktage wie z.B. den Prager Fenstersturz vor 400 Jahren, der den Dreißigjährigen Krieg einleiten sollte, die Märzrevolution im Jahr 1848, das Ende des Ersten Weltkriegs und die Ausrufung der Republik vor 100 Jahren, das Ende der Republik und der Anschluss an das Deutsche Reich vor 80 Jahren, die UNO-Menschenrechtserklärung vor 70 Jahren sowie die 68-er Bewegung vor 50 Jahren.

Am 12. Februar 1938 kam es am Obersalzberg im bayerischen Berchtesgaden in aller Heimlichkeit zu einem Treffen, das den Anfang vom Ende der Unabhängigkeit der noch jungen österreichischen Republik einleiten sollte. Der deutsche Reichskanzler und Diktator Adolf Hitler hat den österreichischen Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg in sein Haus am Obersalzberg geladen, um mit ihm über die Zukunft Österreichs zu sprechen. Reagieren die österreichischen Medien zunächst lobend und versuchen die positiven Aspekte des Treffens zu betonen, kommen mehr und mehr auch die eher bedrohlichen Details zum Vorschein.

 

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Die Zeitungen der 1. Republik und des Ständestaates verwendeten die damals gängige Frakturschrift, bei der es sich um eine Druckschrift handelt, die im deutschen Sprachraum vom 16. Jahrhundert bis ca. 1940 in unterschiedlichen Varianten verwendet wurde. Entwickelt hat sich die Schrift aus der seit dem 12. Jahrhundert verwendeten gotischen Buchschrift.

Mit ein wenig Übung lässt sich die ungewohnte Schrift relativ rasch lesen und die Dokumente erwecken die Stimmung, das Denken und die Sprache der damaligen Zeit wieder zum Leben. Das im Bild vorgestellte Alphabet in Frakturschrift soll beim Einstieg in das Lesen historischer Dokumente behilflich sein.


Viele Buchstaben der Fraktura-Schrift sind den lateinischen Buchstaben sehr ähnlich. Beachten sollte man den kleinen Unterschied zwischen dem kleinen f und dem langen s (rechts neben dem kleinen s). Beim f ist der Querstrich ein wenig links und vor allem rechts, beim langen s hingegen nur links.

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In den österreichischen Tageszeitungen erwachen die dramatischen Ereignisse rund um den 12. Februar 1938 wieder anschaulich zum Leben. Zahlreichen Zeitungen aus dem Online-Archiv „ANNO“ der Österreichischen Nationalbibliothek können als Zeitdokumente nachgelesen werden und vermitteln ein zeitgenössisches Stimmungsbild eines spannungsgeladenen Abschnitts der österreichischen Geschichte.

Ein kurzer Rückblick

Das Verhältnis zwischen Österreich und dem Deutschen Reich verschlechterte sich schnell, nachdem die österreichischen Nationalsozialisten durch der Machtübernahme Hitlers Anfang 1933 in Deutschland einen heftigen Aufwind verspürten. Der zunehmende Terror der NSDAP-Anhänger in Österreich wurde vom Deutschen Reich aus unterstützt.


Als der bayerische Justizminister und Nationalsozialist Hans Frank wegen politischer Agitation aus Österreich ausgewiesen wird, reagiert Hitler mit der sogenannten „Tausend-Mark-Sperre“, welche Österreichs Wirtschaft und Tourismus treffen sollte. Bild: Anno: Tiroler Anzeiger, 29.5.1933, S.1




Österreich reagierte darauf mit dem Verbot der österreichischen NSDAP im Juni 1933. Anno: Wiener Zeitung, 20.6.1933, S. 1

 


Den nächsten Tiefpunkt im Verhältnis der beiden Staaten bildete der Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten am 25. Juli 1934, bei der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet wurde.
Bild: Anno - Prager Tagblatt, 26.7.1934



Mit der Annäherung Italiens, das sich nach dem Putschversuch noch hinter Österreich gestellt hat, an das Deutsch Reich gerät die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Schuschnigg zunehmend unter deutschen Druck, was zum Juliabkommen im Juli 1936 führt. Bild: Anno - Tages-Post, 13.7.1936, S.1

In diesem Vertrag verspricht Deutschland die Souveränität Österreichs anzuerkennen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Österreichs, auch nicht in die Frage des österreichischen Nationalsozialismus einzumischen und die Tausend-Mark-Sperre aufzuheben. Österreich wiederum verpflichtet sich, die verhafteten Nationalsozialisten zu amnestieren, seine Außenpolitik an der deutschen Außenpolitik zu orientieren und zwei Vertrauenspersonen der Nationalsozialisten in die Regierung aufzunehmen: Edmund Glaise-Horstenau und Guido Schmidt. Der neue Kurs der österreichischen Politik wurde als "deutscher Weg" bezeichnet.

Trotz des Abkommens drängte Hitler immer stärker auf einen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich hin, weil er die österreichischen Rohstoffe wie Eisenerz und Erdöl sowie die Gold- und Devisenreserven aber auch Arbeitskräfte dringend für seine Rüstungspolitik benötigte. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Einladung Hitlers an den österreichischen Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg zu einem Gespräch auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden am 12. Februar 1938.

 


Am Treffen auf dem Berghof nahmen auf deutscher Seite Reichskanzler Adolf Hitler und Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und von österreichischer Seite Bundeskanzler Schuschnigg und der Staatssekretär für Äußeres Guido Schmidt teil. Organisiert wurde das Treffen der Regierungschefs vom kurz zuvor abberufenen deutschen Botschafter in Österreich, Franz von Papen.
Bild: Anno - Kronenzeitung, 15.2.1938, S.1

 


Der Tiroler Anzeiger meldet als erste Tageszeitung vom Treffen der beiden Staatsmänner und berichtet über die Aufregung, welche die Rundfunknachricht bei der Innsbrucker Bevölkerung ausgelöst hat.
Bild: Anno - Tiroler Anzeiger, 16.2.1938, S.1

 


In der Wiener Zeitung zeigt, dass das Treffen unter strengster Geheimhaltung stattgefunden hat. Bild: Anno - Wiener Zeitung, 14.2.1938, S.1


Entgegen der verbreiteten Hoffnung auf eine Entspannung der Lage zwischen beiden Ländern, wurde Schuschnigg von Hitler vor vollendete Tatsachen gesetzt. Es kam zu einem zweistündigen Gespräch ohne Zeugen. Anschließend präsentierte Hitler den Entwurf eines Abkommens, der den österreichischen Nationalsozialisten umfangreiche politische Entfaltungsmöglichkeiten garantieren sollte. Unter anderem wurde auch die Betreuung des Nationalsozialisten Dr. Arthur Seyss-Inquart als Innenminister festgehalten, der mit absoluter Polizeigewalt ausgestattet wird. Hitler habe dabei erklärt: „Verhandelt wird nicht, ich ändere keinen Beistrich. Sie haben zu unterschreiben, oder alles andere ist zwecklos, und wir sind zu keinem Ergebnis gekommen. Ich werde dann im Laufe der Nacht meine Entschlüsse zu fassen haben.“ Schuschnigg war während der ganzen Verhandlung massiv unter Druck gesetzt worden. So sprach Hitler ihn als „Herr Schuschnigg“ an, während Schuschnigg Hitler als „Herr Reichskanzler“ bezeichnete, und auch das Rauchverbot war für den Kettenraucher Schuschnigg eine psychische Belastung. Am Ende stimmte der österreichische Bundeskanzler allen Forderungen Hitlers zu und konnte lediglich eine Umsetzungsfrist von drei Tagen erreichen.



Für den Tiroler Anzeiger stellt das Treffen einen großen Erfolg für Österreich dar, mit dem die NS-Agitation in Österreich endlich ein Ende finden wird.
Bild: Anno - Tiroler Anzeiger, 16.2.1938, S.1

 


Die Wiener Zeitung stellt das Treffen als Klärung der Beziehungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich dar und betont als Ziel die Wiederherstellung der freundschaftlichen Verhältnisse zwischen den beiden Ländern.
Bild: Anno - Wiener Zeitung, 16.2.1938, S.1

 


Der Tiroler Anzeiger verteidigt das Abkommen und hebt trotz Amnestie früherer NS-Verbrechen und der Berufung von Hitlers Vertrautem Arthur Seys-Inquart vor allem das Ende der deutschen Unterstützung für zukünftige NS-Verbrechen hervor. Bild: Anno - Tiroler Anzeiger, 17.2.1938, S.1

 


Die Wiener Zeitung zeichnet, entgegen der Realität des Treffens auf dem Obersalzberg, das Bild eines Ritters ohne Furcht und Tadel, der allen Schwierigkeiten zu trotzen weiß. Bild: Anno - Wiener Zeitung, 17.2.1938, S.1

 


Die Mitteilung aus dem Amt des Frontführers der Vaterländischen Front zeigt, dass am Verbot anderer Parteien festgehalten wird und eine politische Betätigung nur innerhalb der Vaterländischen Front möglich sei. Bild: Anno - Tiroler Anzeiger, 19.2.1938, S.1

 


Auch die Wiener Zeitung wies den österreichischen Nationalsozialisten eine legale Möglichkeit der Betätigung nur im Rahmen der Vaterländischen Front zu.
Bild: Anno - Wiener Zeitung, 19.2.1938, S.1

 


Dass das Treffen von Berchtesgaden von den österreichischen Nationalsozialisten ganz anders interpretiert wurde wie von Seiten der österreichischen Regierung zeigt ein Fackelzug zu Ehren des neuen Innenministers Seys-Inqaurt. Bild: Anno - Tiroler Anzeiger, 21.2.1938, S.1



Eine Kundgebung der Vertrauensmänner der Arbeiterschaft Tirol wird deutlich, wie wenig verbreitet ein österreichisches Nationalgefühl in der damaligen Zeit war. Betont wird hingegen der Wunsch nach Unabhängigkeit und die Bereitschaft dafür zu kämpfen. Bild: Anno - Tiroler Anzeiger, 22.2.1938, S.1

 


Im Tiroler Anzeiger werden Pressereaktionen aus dem Ausland herangezogen, um das Treffen der Regierungschefs als Erfolg darzustellen und den festen Willen der Regierung zu bekunden, die Unabhängigkeit Österreichs zu garantieren.
Bild: Anno - Tiroler Anzeiger, 26.2.1938, S.1

 

Tage später versuchte Schuschnigg die drohende Gefahr eines Anschlusses Österreichs an Deutschland mit dem Plan einer Volksabstimmung abzuwenden, in der die Souveränität Österreichs vom Volk bestätigt werden sollte. Das für den 13. März 1938 angesetzte Plebiszit fand aber nicht mehr statt, da durch den Einmarsch deutscher Truppen der „Anschluss an das Deutsche Reich“ bereits am 12. März vollzogen worden war. Mit dem Berchtesgadener Abkommen war somit der Anfang vom Ende eines eigenständigen österreichischen Staates eingeleitet worden.

 


Die jüdische Zeitung „Die Stimme“ wirbt heftig für die für den 13. März geplante Volksabstimmung für die Unabhängigkeit Österreichs, waren die Repressionen des NS-Staates gegenüber jüdischen Mitbürgern in Deutschland doch hinlänglich bekannt. Bild: Anno - Die Stimme, 11.3.1938, S.1

 


Einen Tag vor der geplanten Volksabstimmung überqueren deutsche Truppen die österreichische Grenze und beenden damit die Unabhängigkeit Österreichs. Bundeskanzler Schuschnigg tritt zurück und Seys-Inquart übernimmt die Regierungsgeschäfte. Seys-Inquart wird 1946 im Rahmen der Nürnberger Prozesse als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet werden.
Bild: Anno - Wiener Zeitung, 12.3.1938, S.1

 

Weiterführende Links:

 

>> ANNO: März 1938 – Der Anschluss Österreichs in Zeitungsquellen

 

Titelbild: ANNO – Das kleine Volksblatt, 15.2.2018, S.1
Andreas Markt-Huter, 23-02-2018

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