Der Weg in den 1. Weltkrieg im Spiegel zeitgenössischer Presse

Knapp eine Monat vor der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und zwei Monate vor Ausbruch des 1. Weltkrieges lässt sich in den heimischen Zeitungen von Kriegsstimmung oder Kriegsängsten nur wenig erkennen, auch wenn die Krisenherde und Spannungen in Europa nicht übersehen werden.

Am 28. Juni 1914 veröffentlichen die Innsbrucker Nachrichten vom 20. Mai 1914 den Beitrag „Der Geburtstag des Dreibundes“ in dem auf den 32-jährigen Bestand des „Defensivbündnisses“ zwischen Österreich-Ungarn, dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien hingewiesen wird.

Zwar ist der Inhalt des Vertrages unbekannt und gilt als großes Geheimnis, dennoch soll ihm ein maßgeblicher Anteil an der allgemeinen Entwicklung und Gestaltung der gegenwärtigen politischen Lage zu kommen. Angesichts der Balkankrise, wurde der Vertrag demonstrativ verlängert, obgleich Italien schon seit längerem nicht mehr als zuverlässiger Partner eingeschätzt werden konnte. Das Bündnis selbst wird als friedliches und gleichzeitig starkes Mittel beurteilt, das wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft den Schutz gegen äußere Feinde garantieren soll.

Der Geburtstag des Dreibundes

Heute sind es 32 Jahre, dass der Dreibundvertrag unterzeichnet worden ist. Das genaue Datum der Unterzeichnung des Vertrages ist merkwürdigerweise in der Öffentlichkeit amtlich nicht bekannt gegeben worden. Doch das ist nicht das einzige Geheimnis, das den Bundesvertrag zwischen Österreich-Ungarn, Deutschland und Italien umgibt, sondern auch sein Inhalt ist noch nie zur Kenntnis der großen Öffentlichkeit gelangt. Die Abschriften dieses Bündnisvertrages – dass es dem Hauptinhalte nach ein Defensivvertrag ist, steht immerhin fest – ruhen wohlverwahrt in den Geheimschränken der auswärtigen Ämter. Der Ministerpräsident und der Minister des Äußeren sind die glücklichen Sterblichen, welchen die Urkunde zugänglich ist. […]

So kommt es, dass wir heute noch nicht wissen, was der dem Dreibund zugrunde liegende Vertrag, der einen großen Anteil an der Entwicklung und Gestaltung der allgemeinen politischen Lage in den letzten Jahrzehnten hatte, und unter dessen Schutz drei Staaten stehen, beinhaltet. […]

Die Balkankrise hatte die Dreibundmächte zu dieser demonstrativen Erneuerung [des Vertrages, Anm. A.M.-H.] geführt und sie veranlasst, diese Erneuerung auch öffentlich kund zu geben. Als Bismarck am 3. Februar 1888 an die Veröffentlichung des deutsch-österreichisch-ungarischen Bündnisse schritt, waren es dieselben russischen Drohungen und Machenschaften, die in den Tagen der großen Abrechnung auf dem Balkan einen europäischen Krieg zu entfachen drohten. Damals wurde jedoch der Wortlaut des Friedensbundes veröffentlicht, während bei der Erneuerung des Dreibundes im Jahre 1912 nur ein wortkarges Communique ausgegeben wurde. […]

Die Hoffnung, dass der Dreibund – von dem Fürst Bülow sagte, er kenne in der Geschichte kaum ein Bündnis, das gleichzeitig so friedlich und so stark, so dauerhaft und elastisch gewesen wäre – auch in Zukunft seine Angehörigen mit so starker Hand beschirmen werde wie bisher, bleibt deshalb unerschütterlich. Was er bis jetzt war, wird er auch fürderhin [weiterhin, Anm. A.M.-H.]  bleiben, ein fester Hort, der die Verbündeten gegen äußere Feinde schützt, mögen sie von Ost oder West kommen.

Innsbrucker Nachrichten, 20. Mai 1914, Nr. 114, S. 1

 


Der Niedergang des Osmanischen Reiches, die zunehmenden Unabhängigkeitsbestrebungen der Länder auf dem Balkan und der Versuch der Großmächte Österreich-Ungarn und Russland ihren Einfluss in der Region zu sichern machen Südosteuropa um 1914 zu einem gefährlichen Pulverfass, was in Europa mit Skepsis und Sorge beobachtet wird.

 

Zum Inhalt und Ziel des Dreibundvertrages:

Der Dreibundvertrag verfolgt das Ziel,

  • die Sicherheiten des allgemeinen Friedens zu vermehren
  • das monarchische Prinzip zu festigen
  • die Aufrechterhaltung der sozialen und politischen Ordnung zu sichern

Der Vertrag ...

  • trägt seinem Wesen nach eine konservative und defensive Grundrichtung
  • Der Vertrag dient als Schutz vor Gefahren, welche die Sicherheit der Staaten und die Ruhe Europas bedrohen können.

Im Vertrag versprechen sich die Parteien ...

  • wechselseitig Frieden und Freundschaft
  • kein Bündnis mit anderen Staaten, das sich gegen einen dieser Staaten richtet
  • Gedankenaustausch über politische und wirtschaftliche Fragen und wechselseitige Unterstützung

Bei einem Angriff Frankreichs auf Italien, soll es von Deutschland und Österreich-Ungarn unterstützt werden. Dasselbe gilt bei einem Angriff Frankreichs auf Deutschland.

Wenn ein oder zwei Länder ohne Herausforderung angegriffen werden sollten oder in einen Krieg mit zwei oder mehreren Mächten geraten, gilt der Bündnisfall.

Wenn eine Partei von einer Großmacht bedroht wird und sich genötigt sieht, dieser den Krieg zu erklären, müssen die beiden anderen Parteien eine wohlwollende Neutralität einnehmen. Ob sie am Krieg mit dem Verbündeten teilnimmt, bleibt frei.

Wenn der Friede einer der Parteien bedroht wird, sollen rechtzeitig militärische Maßnahmen zur Gegenwehr abgesprochen werden.

Bei einem gemeinsamen Krieg sollen erst nach gegenseitiger Übereinkunft Waffenstillstand, Frieden oder Verträge abgeschlossen werden.
Der Vertrag soll geheim bleiben und fünf Jahre gültig bleiben.

>> Dokument: Dreibundvertrag

 

England und Österreich. Gegenbesuch unsrer Flotte in Malta

Das Welt-Blatt vom 20. Mai 1914, Nr. 114, S. 1 berichtet von einem gegenseitigen Flottenbesuch der britischen und österreichisch-ungarischen Marine. Dabei bringt der Autor die Hoffnung zum Ausdruck, dass die Verteidigungskooperation zwischen England, Frankreich und Russland nicht so stark sei, wie es z.B. von russischer Seite gewünscht wäre. Die Engländer würden es vorziehen ihre eigene Politik zu betreiben und sich nicht durch Verpflichtungen einengen zu lassen. Würden die drei Mächte ein richtiges Bündnis eingehen, wäre ein Krieg unvermeidlich, in dem es nur Verlierer und keine Gewinner gebe. Aber auch der Autor des Artikels macht sich keine Illusionen darüber, dass England bei einem Angriff auf Frankreich passiv oder neutral bleiben würde.

[…] Weder der Präsident Poincare noch der König [König Georege V. von England, Anm. A.M.-H.] machten in ihren Trinksprüchen eine Anspielung auf Russland, obschon gerade von dort aus die Anregung gemacht wurde, dem etwas lockeren Dreiverband die Form eines richtigen dreifachen Bündnisses zu geben.

England will Herr seiner eigenen Politik bleiben und durch keine Verpflichtungen nach russischer oder französischer Seite hin sich binden. „Die Verwandlung der Entente in ein Bündnis,“ so erklärte klipp und klar ein führendes Londoner Organ, „würde den Krieg unvermeidlich machen, in dem wir alles zu verlieren und nicht zu gewinnen hätten.“ Und so ist aus der Triple-Entente keine Tripel-Allianz geworden, sondern alles hübsch kühl beim alten geblieben, wenn auch England entschlossen ist, kein passiver oder neutraler Zuschauer zu bleiben, wenn ein Angriff auf Frankreich gemacht werden sollte, woran ernstlich wohl niemand denkt.

Welt-Blatt, 20. Mai 1914, Nr. 114, S. 1

 

 

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In den Zeitungen der k.u.k. Monarchie wurde die damals gängige Frakturschrift verwendet, bei der es sich um eine Druckschrift handelt, die im deutschen Sprachraum vom 16. Jahrhundert bis ca. 1940 in unterschiedlichen Varianten gebräuchlich war. Entwickelt hat sich die Schrift aus der seit dem 12. Jahrhundert verwendeten gotischen Buchschrift.

Mit ein wenig Übung lässt sich die ungewohnte Schrift relativ rasch lesen und die Dokumente erwecken die Stimmung, das Denken und die Sprache der damaligen Zeit wieder zum Leben. Das im Bild vorgestellte Alphabet in Frakturschrift soll beim Einstieg in das Lesen der historischer Dokumente behilflich sein.

 


Viele Buchstaben der Fraktura-Schrift sind den lateinischen Buchstaben sehr ähnlich. Beachten sollte man den kleinen Unterschied zwischen dem kleinen f und dem langen s (rechts neben dem kleinen s). Beim f ist der Querstrich ein wenig links und vor allem rechts, beim langen s hingegen nur links.


Andreas Markt-Huter, 22-05-2014

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