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ulrichc schlotmann_vivat vivat hoher priesterDen dauerhaftesten Eindruck erwecken meist jene Bücher, die beim ersten Durchblättern als Anstrengung empfunden werden. Der erste Eindruck, nämlich – fett, schwer, barock und schelmisch verzweigt – bleibt ein Leben lang, auch wenn sich später in der Lektüre zunehmend konkret fixierter Sinn einstellt.

Ulrich Schlotmann legt jedenfalls ein fettes Buch vor, wie das in der Rezeptionsästhetik gerne genannt wird. Schon im ersten Satz ist alles klar, was ja kein Wunder ist, es gibt nämlich nur einen Satz, welcher sich absatzlos auf fast dreihundert Seiten erstreckt. Am hinteren Cover wird dieses Textgebilde als „Wort- und Satzprozession“ empfohlen.

esther bockwyt, woke„Der zentral vorgebrachte Anspruch der Bewegung, Diskriminierung und Unterdrückung von bestimmten Gruppen abbauen zu wollen, macht Wokeness auf den ersten Blick unangreifbar und attraktiv. Ihre Appelle nach Gerechtigkeit, Diversität oder Antirassismus sind positiv besetzt. Das macht ihr destruktives Potenzial viel schwieriger zu erkennen als das anderer radikalisierter Orientierungen.“ (S. 9)

Die sogenannte „Woke-Bewegung“ hat sich von ihrem Schwerpunkt an den Universitäten immer mehr in die breite Öffentlichkeit bewegt. Welche Theorien, Inhalte und Forderungen sich unter dem breiten Label „Woke“ finden lassen, was die psychologischen Hintergründe für die zunehmend aggressiver auftretenden Gruppierungen sind und welche Erklärungen und Hilfen die Psychologie dazu bieten kann, steht im Mittelpunkt des informativen Sachbuchs.

li mollet_späterWährend politische Entscheidungsfragen überall auf der Welt mit ja oder nein beantwortet werden, sagt man in Österreich auf eine Entscheidungsfrage oft: „später“. Bereits Kindern wird dieses Wort beigebracht, wenn sie um etwas betteln. Ein Leben lang beherrscht dieses Wort die Entscheidungsfindung, und selbst wenn in hohem Alter jemand um Sterbeassistenz bittet, wird er auf später verwiesen.

Li Mollet hat mit ihrem Besinnungsbuch über diese Zeitangabe natürlich anderes im Sinn. Bei ihr geht es um „Zeitinstallationen“, die womöglich nicht in der Gegenwart dechiffriert werden können, sondern einen späteren Zeitpunkt der Realisation ins Auge fassen.

jonathan perry, auf der flucht„Lebt mit Frau und Kind in St. Pölten.“ – Diese zu einer Inschrift verdichtete Bio-Zeile beschreibt auch gleich jenen Kosmos, in dem der Gedichtband „Auf der Flucht“ spielt.

Jonathan Perry hat seine Gedichte auf der Drehbank eines St. Pöltener Kammerstückes eingespannt, die einzelnen Texte werden in Drehung versetzt und benehmen sich wie auf der Flucht. Das heißt, sie sind selbst noch nicht am Ziel angekommen, gleichzeitig verändern sie jedoch den Aggregatszustand und werden „flüchtig“, wie man das über Stoffe sagt, die allmählich aus sich selbst verschwinden.

hans platzgumer, großes spielWir feiern die verrücktesten Jubiläen, ohne oft genau zu wissen, welche Katastrophen und Kämpfe da dahinterstecken. Vor genau hundert Jahren, am 1. September 1923, wurde Tokio durch Brand und Erdbeben vernichtet. In einer dieser Erdbebenspalten verschwand auch das bisherige Regierungssystem und führte zu einem brutalen Machtkampf im Schatten des Kaisertums.

Hans Platzgumer greift diesen historisch und geographisch entlegenen Katastrophenfall auf, um durchzuspielen, wie sich Epochen an einer politischen Verwerfungskante reiben und Verwüstung anrichten.

caroline wahl, 22 bahnenManchmal wird der Literatur ein Programm übergestülpt, das ihre Kundschaft zuerst abarbeiten muss, ehe sie sich dem eigentlichen Text zuwenden darf. So sind es oft Literaturpreise, die vorerst in Marketing-Manier den Text zuschütten, ehe er sich verspätet der Leserschaft erschließt.

Gerne gesehen ist Literatur auch als Prüfungsstoff, wenn in sadistischer Anwandlung Prüflinge gequält und für die Literatur verloren gemacht werden. Eine Radikal-Methode, ein unwissendes Publikum mit Literatur zu beträufeln, besteht schließlich in diversen Kommunal-Aktionen, wenn etwa die Bewohner einer Kleinstadt mit einem Gratis-Roman beglückt werden. Auch hier steht das Programm der Stadt vorerst über dem literarischen Text, der als solcher erst freigeschaufelt werden muss.

tom holland, herrschaft„Mein Buch untersucht, wodurch das Christentum so subversiv und revolutionär wurde; wie vollständig es die Grundhaltung der lateinischen Christenheit imprägnierte; und warum in einer westlichen Welt, die häufig ein so kompliziertes Verhältnis zu religiösen Ansprüchen hat, so viele ihrer Instinkte nach wie vor – im Guten wie im Schlechten – durch und durch christlich sind. Kurz: Es geht um die größte Geschichte aller Zeiten.“ (S. 27 f)

Tom Holland geht der überaus interessanten Fragestellung nach, wie eine Religion, deren zentrale Bezugsperson als Verbrecher verurteilt und auf grausamste Weise ums Leben gebracht wurde, eine dermaßen prägende Wirkung auf die Welt entwickeln konnte. Dazu werden die zentralen Strömungen des christlichen Einflusses auf die Entwicklung globaler Wertvorstellungen bis in die Gegenwart nachgezeichnet.

stanislav struhar, das gewicht des schattensJe größer die Heimat, umso verlorener bewegt sich darin der Heimatlose. Stanislav Struhar versetzt seine Helden in den Modus von Schatten, alles ist seltsam leicht und dennoch bunt, die Konturen der Handlungen gleichen Erinnerungen und fransen zwischendurch aus, die Stabilität der Körper zuckt fahl über jene Oberflächen, auf denen sie agieren. Bald kommt einem die „Höhlenparabel“ von Platon in den Sinn, worin auf der Suche nach Wahrheit alles zu Schatten wird.

Der Roman startet mit der luziden Fröhlichkeit eines Airbnb-Wochenendes, Elias fliegt von Wien nach Lissabon, um die Wohnung seiner verstorbenen Großeltern zu übernehmen. Eine intime Erkundung einer fremden Stadt beginnt man am besten im Treppenhaus des Hauses für die Nacht, Elias lässt sich vom kühlen Turm des Treppenschachtes in die Höhe reißen zur Wohnung seiner Vorfahren. Ein gewisser Diego weiht ihn in die wichtigsten Handgriffe für Lissabon ein, auf der Kommode steht ein Bild der Großeltern und überwacht das Heimischwerden.

thomas podhostnik, der spatzenkaiserFür gewöhnlich läuft das Leben so dahin, ehe dann vielleicht ein Spatz vom Himmel fällt, um dem Ganzen eine Überschrift zu geben.

Thomas Podhostnik lässt seinen Helden Kaj vorerst einmal drei Seiten lang durch die Wüste streunen, ehe der sprichwörtliche Vogel vom Himmel fällt und dem Roman seinen Titel gibt: „Der Spatzenkaiser“. Dieser Vorfall ist mit einer Binsenweisheit verknüpft. „Auch ein Vogel musste sterben, es war  nur konsequent, wenn es in der Luft geschah.“ (6)

All dies geht dem Helden Kaj durch den Kopf, als er sich auf den Weg in ein Roadmovie macht, dabei aber nicht vom Fleck kommt. Für ein Roadmovie braucht es einen Fluchtgrund, geographische Ziellosigkeit, einen täglich neu zu erweckenden Move und eine Sehnsucht, der man vergeblich nachjagt.

joachim hammer, glückes schiefe türmeWerkzeuge lassen sich in zwei Richtungen hin einsetzen, einmal, um einen bestimmten Sachverhalt zu erkunden, zu korrigieren oder zu optimieren, und im umgekehrten Sinn, indem man schaut, wofür sich dieses Werkzeug zusätzlich verwenden ließe.

Joachim Gunter Hammer hat über Jahrzehnte hinweg lyrisches Werkzeug erfunden, mit dem er vor allem phänomenologische, botanische oder molekular-physikalische Vorgänge erkundet. Als „Schweizermesser“ dieser lyrischen Erforschungen dienen ihm oft 17- und 19-Silbler. Diese an alte fernöstliche Dichtkunst anknüpfende Schärfe im Umgang mit Silben und Wortmaterial bewährt sich auch im europäischen Gebrauch, wenn Vorgänge aus der politischen Schwarzweißmalerei plötzlich mit einem über-sensiblen Besteck zerlegt und einem neuen Sinn zugeführt werden. In einer schlagwortartigen Einschätzung der Lyrik von Joachim Gunter Hammer könnte man sagen, seine Gedichte laufen ähnlich quer durch die Welt wie das heiße Messer durch die Butter.